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nämlich, welchen die verschiedenen Schwingungen deö auf die Netz
haut treffenden Lichtes hier verursachen, pflanzt der Sehnerv in daö
Gehirn fort, und hier, im Centralorgan für den Verkehr mit der
Außenwelt, entsteht dadurch eine hinsichtlich der räumlichen Aus
dehnungen sich auf Erfahrung gründende Vorstellung (scheinbares
Bild) von dem das Netzhautbild verursachenden Objecte — ein
Vorgang, welchen man Sehen nennt.
8. 91. Wie in der Camera obscura ist daö auf die Netzhaut fallende
Bild verkleinert und verkehrt. Daß man die natürlichen Gegen
stände dennoch nicht verkehrt, sondern aufrecht sieht, und an ihnen
größere Dimensionen wahrnimmt/ als das physische Bild selbst hat,
erklärt sich wohl daraus, daß die Bilder im Augapfel eben nicht,
wie die in der Camera obscura, von einem außerhalb desselben be
findlichen Auge gesehen werden und daß auch die Empfindung auf
der Netzhaut ebenso wenig als die Körperlichkeit dieser selbst dem
Sehenden zum Bewußtsein kommt. Hauptsächlich aber beruht die
Uebereinstimmung der Wahrnehmung mit der Wirklichkeit auf einem
Urtheil, welches sich aus die von frühester Kindheit an durch den
Tastsinn ausgebildete Erfahrung stützt.
Auch hinsichtlich der Größe und Entfernung der Objecte geben
Erfahrung und augenblickliches Vergleichen den Anhalt zu einem
Urtheil darüber, ob ein Lichtreiz im Auge von einer gewissen Aus
dehnung von einem sehr kleinen nahen, oder sehr entfernten großen
Objecte herrühre. Ein Mehreres hierüber enthält §. 123.
§. 92. Die Erregbarkeit der Netzhaut ist am größten um den Punkt
herum, in welchem eine durch den Mittelpunkt der Pupille und den
Mittelpunkt des Augapfels gedachte gerade Linie, die sogenannte
Augenachse, sie berührt. Wegen dieser größeren Empfindlichkeit
und weil an der gedachten Stelle das in das Auge gedrungene Licht
die Netzhaut nahezu rechtwinklig trifft und darum das physische Bild
weniger verzerrt projicirt, als an anderen Stellen der Netzhaut, wo
das Licht schief einfällt, und endlich weil das Einrichtungsvermögen
der Hornhaut, des Strahlenkörpers und der Iris hauptsächlich für
das Bedürfniß dieser empfindlichen Stelle thätig ist: richtet der
Sehende unwillkührlich die Augen so, daß deren Achsen genau aus