Die Bedeutung der Karte.
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Anlage 1 , nicht aber im zweiten, betreffs der künstlerischen Ausführung beipflichten;
denn gerade die Schweiz hat kaum wie ein anderes Land ein für kartographische Zeich
nung höchst dankbares Gelände. Die Natur des Landes hat der Kartographie den
spezifischen Stempel aufgedrückt. Die eigenen Berge verstehen die Schweizer sehr gut
darzustellen, sobald aber die Karte in anders orographisch aufgebautes Gebiet hinein
reicht, fällt die Zeichnung beträchtlich ab. Der Schweizer hat noch immer am besten
nur sein eigenes Land zeichnen können. Merkwürdigerweise überschreitet die Karto
graphie der Schweiz auch nur selten die Landesgrenze. Das wurde schon vor Jahr
zehnten erkannt. 1 2 Neuerdings scheint die schweizerische Schulkartographie den Bann
brechen zu wollen.
Schon seit Jahrhunderten arbeitet man in der Schweiz an der Vervollkommnung
der technischen Ausführung und ersinnt neue Mittel und Wege, um mathematische
Genauigkeit mit dem künstlerischen Bild, der Widerspieglung der großartigen Natur
des Alpenlandes zu vereinigen. Die Schweizer Schule spricht sich mehr noch als in der
Dufour- und Siegfriedkarte in den farbenplastischen Bildern aus, wie sie in der Schweizer
Wandkarte ihren Höhepunkt fand. Oder sollte man das farbenplastische Terrainbild
der Schweizerkarte nicht als das in Farbe übersetzte Bild der Dufourkarte mit den
Grundelementen der Siegfriedkarte ansprechen dürfen? Mit der Hochgebirgsnatur,
dem politisch eng umschlossenen Gebiet und der Liebe zur eigenen Scholle hängt es
zusammen, daß die Schweizer Kartographie wesentlich „Heimatkunst“ ist.
Nicht zu verkennen ist, daß die historische Entwicklung der Schweizer Karto
graphie eins der anziehendsten und ergiebigsten Kapitel in der Geschichte der Karte
und der Kartenwissenschaft ist; denn nur wenige Zweige schweizerischer Wissenschaft,
Kunst und Industrie lassen sich gerade in der Schweiz in ihrer historischen Entwicklung
so genau verfolgen wie die Kartographie, wenige auch bieten ein so klares Bild des
menschlichen Bingens nach technischer und künstlerischer Vervollkommnung wie sie.
Die amtliche französische Kartographie hat sich fast ein volles Jahrhundert
in denselben Geleisen bewegt. Kein rechter Fortschritt ist wahrzunehmen. Das darf
uns nicht in der Meinung bestärken, als ob die Franzosen nicht selbst die Mängel ihrer
Karten wüßten. Diesen will man durch die neue Karte 1: 50000 abhelfen, deren Heraus
gabe 1897 beschlossen wurde und von der schon eine Anzahl Blätter vorliegt. Merk
würdigerweise hatte die französische Generalstabskarte bis in die zweite Hälfte des
vergangenen Jahrhunderts hinein wenig Einfluß auf das Studium der Geographie und
auf die Kartenherstellung privater Anstalten. Die inoffiziellen Karten befolgten damals
entweder die schräge Beleuchtung ohne jedwede Schichtlinien und erzeugten falsche
Terrainbilder oder es schimmerte bei den phantastischen Geländegebilden noch die
alte Wasserscheidentheorie hindurch, wie bei dem Bazin-Cadetschen Atlas 3 , der für
die Militärschule von St. Cyr vorbereiten sollte und in der freilich sehr detailierten
methodischen Zerlegung des Stoffes sein relatives Verdienst gehabt haben mag. Eine
1 Die technische Anlage, womit man vor allem die Aufnahme meint, ist in den Alpen oft mit
außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden. Manches Festlegen von Punkten hat nicht bloß
viele pekuniäre Opfer gefordert, sondern auch Menschenleben. Hierin begegnen sich die Aufnahmen
in den Alpen mit solchen in schwer zugänglichen Küstengebieten; davon erzählt z. B. die englische
Admiralitätsaufnahme der Westküste von Schottland, 1838—1862.
2 Die geographische Ausstellung in Paris, 15. Juli bis 16. Sept. 1875. Von dem Delegierten
der Perthesschen Anstalt in Gotha. P. M. 1876, S. 51.
3 F. Bazin et F. Cadet: Atlas spécial de la géographie physique, politique et historique de
la France. Paris 1854/55.