Neue Bahnen und neue Aufgaben.
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einmal betretenen Weg nicht entmutigen. Noch viel Kleinarbeit wird geleistet werden
müssen, bevor sich leitende Gesichtspunkte herausschälen lassen.
Bisher gilt der Grundsatz, daß zu einer vollständigen Abbildung der Erdober
fläche drei Arten von Karten gehören: die topographische, hypsometrische und geo
logische Karte. Die Verbindung der ersten beiden ist gelungen, die tiefere Verankerung
mit der dritten Art steht noch aus. Damit ist nicht die geologische Karte auf oro-
graphischer Unterlage gemeint, die schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts gezeichnet
wurde, sondern das Sichtbarmachen von spezifisch geologisch und orographisch be
dingten Formen im Geländebild mit Hilfe topographischer Darstellungsmittel.
Daß an der Lösung dieses Problems J. M. Ziegler zum erstenmal eingehender
gearbeitet hat, wissen wir. 1 Dort, wo man tagtäglich die großen Veränderungen in
der Natur wahrnimmt, in der Alpenwelt, fing man zuerst an, darüber nachzudenken,
wie die topographische Karte ein Spiegelbild des inneren Baues der Gebirge sein
könnte. Das andere große Gebiet auffälliger Veränderungen, die Küstenregion, hat
nicht in dem Maße zum Ausbau der topographischen Karte angeregt. Mit ähn
lichen Problemen wie der Schweizer J. M. Ziegler beschäftigte sich der Österreicher
K. v. Sonklar, dessen Karten der Ötztaler Gebirgsgruppe als ein Muster einer
wissenschaftlichen Behandlung der Orographie gerühmt wurden. 1 2 Alles was Ziegler
für die morphologische Ausgestaltung des Terrainbildes mehr geahnt als erreicht
hat, ist jetzt auf dem besten Wege, verwirklicht zu werden. R. Lucerna geht
kaum über Ziegler hinaus, wohl aber die Arbeiten von Passarge und Gehne. Lu
cerna glaubt etwas Neues zu bieten, wenn er sagt, daß der Bauplan der Gebirgs-
oberfläche aus der Karte erhellt werden soll, soweit dies der Maßstab zuläßt. 3 Er
macht der modernen Kartographie den Vorwurf, daß sie insbesondere bei den Alpen
karten zu rein topographisch sei, nur Hoch und Tief und das Gefälle in den Vordergrund
stelle und die Formen des Gebirges nicht genetisch, d. h. entwicklungsgeschichtlich
darstelle. All die Formen, die verschieden genetischen Ursprungs sind, dürfen nicht
nach einem Schlüssel gezeichnet werden; hinwiederum wird nach Lucerna keine bis
in Details gehende Alterskarte des Gebirges gewünscht, da dies nur die geologische
Karte mit ihrer reichen Farbenwahl geben kann, sondern es sollen vor allem die alters
verschiedenen Formen, wo die Grenzen in der Natur nicht gut ausgeprägt sind, auf
der Karte markiert werden. Es fehlen eben nach Lucerna „die für das Formen
verhältnis der Gebirgsoberfläche oft eminent wichtigen Kanten, auch wenn sie im Maß
stab der betreffenden Karte darstellbar wären.“ Wie er sich die entwicklungsgeschicht
liche Darstellung der Geländeformen denkt, soll eine Karte der Hohen Tatra in 1: 25000
veranschaulichen, die nach der Methode der altersgleichen Flächen aufgenommen ist.
Ihr sollen Alpenkarten folgen. Bis jetzt ist mir nur die Morphologische Karte der
Montblancgruppe in 1:100000 entgegengetreten. 4
Die Grundlage der Karte bildet das morphologische Flächenelement. Einschließ
lich weiß werden sieben Farben zum Ausdruck gebracht. 5 Durch das Aussparen von
1 Die hierher gehörige Stelle seines berühmten Briefes an A. Peter mann kennen wir bereits
(S. 50). — Eingehenderes über Zieglers Einfluß auf die Geländeaufnahme und -darstellung vgl. in
dem Teil über die Geländeaufnahme (§ 87).
2 Vgl P M. 1861, S. 321.
3 R. Lucerna: Der Bauplan der Gebirgsoberfläche. Mitt. des D. u. Ö. A.-V. 1913, S. 262.
4 R. Lucerna: Morphologie der Montblancgruppe. P. M. Ergh. 181. Gotha 1914.
5 Auch in der Farbengebung der morphologischen Elemente ist kein System; vgl. Karte u.
S. 182, 183, a. a. O.