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Das Rartennetz.
und Meridians von Rhodus war für die Karte des Marinus bestimmend gewesen. 1
Sie war keine quadratische Plattkarte, als welche sie Zöppritz-Bludau 1 2 und
E. Hammer 3 ansprechen.
Die erste Anleitung zum Entwerfen für Karten gab Ptolemäus (87—150). 4
Sie ist niedergelegt im ersten Buche seiner Geographie, Kapitel 21—24. Die von
Ptolemäus entwickelten Projektionen sind Kegelprojektionen mit der Konvergenz
der Meridiane nach den Polen zu. Die eine ptolemäische Projektion weist die
Meridiane als gerade, die andere als gebogene Linien auf. Die Parallelen sind Bogen
von Kreisen um ein und dasselbe Zentrum, das senkrecht über dem Nordpol (xazo
rov ßooeiov 7i6lov) zu denken ist, d. h. in der verlängerten Erdachse. Von ihm aus
werden bei der einen Projektion die geraden Meridianlinien gezogen. Von dem rein
Technischen in der Konstruktion der gekrümmten Meridiane der andern Projektion
erzählt uns Ptolemäus nichts und den Mutmaßungen ist hier ein weites Feld gegeben. 5
Geographen und Mathematiker haben sich von jeher gern mit den ptolemäischen
Darlegungen befaßt. In neuerer Zeit hat Theodor Schöne sie ausführlich und
kritisch behandelt. Der ptolemäische Atlas selbst ist erst um 500 n. Chr. von Agatho-
dämon gezeichnet worden. Auf alle Fälle aber ist Ptolemäus der erste wissen
schaftliche Kartograph gewesen. „Pour Ptolémée la géographie c’est l’art de
dresser des cartes générales de la terre.“ 6
47. Hindämmern und Lichtstrahlen im mittelalterlichen Kartenwesen. Die
herrlichen Anfänge der Projektionslehre des Altertums verkümmerten in der Zeit-
periode, die wir als Mittelalter zu bezeichnen pflegen. Ist man allgemeinhin ge
wöhnt, den Zeitraum vom 6. Jahrhundert bis Anfang des 15. Jahrhunderts als
eine Zeit des Stillstandes der geistigen Entwicklung oder gar als einen Rückfall der
Wissenschaft in ihr Kindesalter zu bezeichnen 7 , war sie in der Entwicklung der
menschlichen Kultur nicht überflüssig, sie hatte einen weit ausgedehnten, fast durch
gängig sterilen Yölkerboden umgearbeitet und neue Werte geschaffen, die erst nach
längerer Zeit des Werdens und allmählichen Heranreifens den Einschlag der ptole
mäischen, wie überhaupt der hellenistischen Wissenschaft aufzunehmen, zu ver
stehen und weiterzubilden vermochte. Das Mittelalter war keine Zeit des völligen
Yergessens antiker Anschauungen. Selbst in die sog. Radkarten, die zunächst vier
eckige, sodann runde und ovale Gestalt hatten, spinnen sich aus dem Altertum
geistige Fäden, wenn auch recht dünne, hinein. 8 Schon die Ebstorfer Weltkarte
dürfte das zur Genüge beweisen.
1 Vgl. H. Wagner: Lehrbuch der Geographie. 9. Aufl. Hannover und Leipzig 1912, S. 213.
— A. Breusing: Das Verehnen der Kugeloberfläche. Leipzig 1892, S. 50. — M. Fiorini: Le pro-
jezioni delle carte geografiche. Bologna 1881, S. 338 ff.
2 Zöppritz-Bludau: Leitfaden der Kartenentwurfslehre, 2. Aufl. I. Leipzig 1899, S. 133.
3 E. Hammer: Über die geographisch wichtigsten Projektionen. Stuttgart 1889, S. 20.
4 H. Berger: Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen. Leipzig 1903, S. 640.
5 Th. Schöne: Die Gradnetze des Ptolemäus i. erst. Buche seiner Geographie. Über
setzung der Kapitel 21 bis 24 nebst Anmerk. u. Fign. Wiss. Beil. z. Jahresb. des Kgl. Gymnas. zu
Chemnitz. Chemnitz 1909.
6 J. A. Letronne: Examen critique des prolégomènes de la géographie de Ptolémée, Paris 1830.
7 Vgl. O. Peschei: Geschichte der Erdkunde. 2. Aufl. von S. Rüge, München 1877, S. 101.
- V. Hantzsch in G. Z. 1897, S. 618.
8 Vgl. Nordenskiölds Monumentalwerke zur Geschichte der Kartographie : Facsimile-