Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

Zur Geschichte der Kritik der Kartenprojektion. 
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Die mittelalterlichen Badkarten, zn denen auch die des Era Mauro und 
des G. Leardo gehören, sind eine primitive Projektion des seinerzeit bekannten und 
geahnten Weltbildes. Sie beruhten auf der alten Vorstellung von der Scheibengestalt 
der Erde. Auch die römischen Itinerarkarten waren nicht ohne Einfluß. Die Meinung 
Wiesers, daß das gesamte Mittelalter eine Projektion im eigentlich geometrischen 
Sinne nicht kannte 1 , hatte ich früher auch zu der meinigen gemacht. * 1 2 Indessen 
kann sie nur sehr bedingt aufrecht erhalten werden, insofern wir gegen den Ausgang 
des Mittelalters auf Karten stoßen, die in das Plattkartennetz hineinkonstruiert 
sind, z. B. Geographia di Francesco Berlinghieri (Firenze ca. 1478). 3 Die Platt 
karte tritt uns selbst auf arabischen Karten entgegen. Vasco da Gama sali in Melinde 
eine arabische Karte des Indischen Ozeans, der als Seekarte nicht die damals üb 
lichen Windstriche zugrunde gelegt waren, sondern, ganz nach dem Vorbild von 
Marinus, ein sich rechtwinklig schneidendes Netz von Meridianen und Parallelen, 
die kleine Quadrate umschlossen, wie J. de Barros berichtet. 
Daß das Mittelalter nicht bar jeglicher linearen Konstruktionsmittel beim 
Kartenaufbau war, beweist eine Gruppe von Karten, die man zuerst „Kompaßkarten“ 4 , 
dann „Portulani“ 5 , und zuletzt „Portulankarten“ 6 genannt hat. Auf sie komme 
ich bei der Seekarte noch ausführlicher zu sprechen, wo ich sie als „orthodromisclie 
Windstrahlenkarte“ bezeichnet habe. Um die Aufhellung dieses Kartenproblems 
haben sich A. Breusing 7 und H. Wagner 8 großes Verdienst erworben. Zur Ent 
stehung der orthodromischen Windstrahlenkarte sei kurz gesagt, daß das einfache 
Koordinatenkreuz der Karte im Sinne der Strahlen der Windrose (strahlig) erweitert 
wurde. Kreisförmig um das mittlere Windstrahlenbüschel wurden noch acht bis 
sechszelm solcher Büschel gezeichnet. Die Entfernungen der einzelnen Küsten 
punkte wurden auf den Strahlen mit Hilfe des beigegebenen Meilenmaßstabes 
konstruiert, bzw. abgelesen. 
48. Die erste Sturm- lind Drangperiode der neuen Kartographie und deren Pro 
jektionserzeugnisse. Die ungeheure Erweiterung des geographischen Gesichtskreises 
an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, der Aufschwung der exakten Wissen 
schaften und die damit verbundene Wiedererweckung des Ptolemäus mußten von 
größtem Einfluß auf die Kartographie werden. Das erste Viertel des 16. Jahr 
hunderts ist die erste Sturm- und Drangperiode der neuen Kartographie. 9 Der tief 
greifende Einfluß des Ptolemäus auf die Kartographie äußert sich in der Haupt- 
Atlas, Stockholm 1889; Periplus, Stockholm 1897. — Ferner K. Millers Sammelwerk: Mappae 
mundi oder die ältesten Weltkarten, Stuttgart 1893—98. 
1 F. R. v. Wieser: A. E. v. Nordenskiölds Facsimile-Atlas P. M. 1890, S. 271. 
2 M. Eckert: Die Kartenprojektion, a. a. 0„ S. 300. 
3 Nordenskiöld: Facsimile-Atlas., a. a. 0., T. XXVIII. 
4 O. Peschei: Geschichte der Erdk. 2. Aufl. von S. Rüge. München 1877, S. 208. 
5 So z. B. von F. R. v. Wieser, a. a. 0„ S. 271. 
6 Von v. Wieser vorgeschlagen in P. M. 1899, S. 1899, Anm.; nachdem aber schon zehn Jahre 
früher Nordenskiöld im Facs.-A„ S. 46, von „Portolanos“ oder „Portolan-charts“ geschrieben hatte. 
7 A. Breusing: Zur Geschichte der Kartographie. La toleta de Marteloio u. d. loxodromischen 
Karten. Kettlers Z. f. wiss. Geogr. II. Lahr 1881, S. 187, 188. 
8 H. Wagner: Das Rätsel der Kompaßkarten im Lichte der Gesamtentwicklung der See 
karten. Verh. des XI. Deutsch. Geographentages zu Bremen 1895. Berlin 1896, S. 68. 
9 Aug. Wolkenhauer: Beiträge zur Geschichte der Kartographie u. Nautik des 15. bis 
17. Jahrb. Mitt. d. Geogr. Ges. München, Bd. I. 2. Heft, 1904.
	        
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