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Das Kartennetz.
zeitig mit ihm suchen Zöppritz 1 und Herz 1 2 in die Verzerrungs Verhältnisse gewisser
Projektionen auf Tissotscher Grundlage einzuführen. Vor ihnen ist noch der treff
liche Fiorini zu nennen. 3 Doch hat E. Hammer entschieden das größte Verdienst,
uns die Tissotsche Gedankenwelt am nächsten gebracht zu haben. Gewiß möchte
in Deutschland jetzt wohl schwerlich ein anderer zu finden sein, der mehr als Hammer
auf dem Gebiete der Projektionslehre zu Hause sei. 4 Auch A. Bludau steht in seinen
kartentheoretischen Untersuchungen wesentlich auf den Schultern Hammers.
Tissot, der, zunächst an Gauß sich anlehnend, sodann aber durch eigene,
selbständige Gedankenarbeit zu seinen Reformen der Kartenprojektionslehre gelangt
ist, hat gleichwohl einen Vorläufer in dem deutschen Mathematiker Lambert.
Frischauf hat den Nachweis erbracht, daß sich Lambert und Tissot, zwei um
ein volles Jahrhundert auseinander stehende Forscher, unbewußt in vielen Punkten
zusammengefunden haben. 5 „Was damals der Deutsche Lambert an neuem wissen
schaftlichen Material den Mathematikern und Geographen aller Nationen dargeboten
hat, das ist für den Teil von Frankreich jetzt von Tissot mit reichen Zinsen zurück
gezahlt worden.“ Dies Wort von Zöppritz, dem auch E. Hammer beistimmt,
mag für die Mathematiker voll und ganz stimmen, nicht aber für die Geographen;
und so werden auch Breusings Worte erklärlich: „Es hätte der Formeln Tissots
nicht bedurft, um zu erkennen, daß die nach ihren Urhebern Fournier, La Hire,
Parent, Murdoch, Braun u. a. benannten zwecklos und damit wertlos sind.“
Lambert hat den Geographen praktischere Werte als Tissot geschaffen. Gleichwohl
ist nicht zu verkennen, daß wir erst durch Tissot Lambert wieder zu würdigen
beginnen; und vollends hat Hammer durch seine „geographisch wichtigsten Karten
projektionen“ die Bedeutung Tissots wie Lamberts in unvergängliches Licht gerückt.
Lambert herrscht inmitten der gegenwärtigen kartographischen Reform.
Man kann wohl sagen, daß wir erst einen Tissot haben mußten, um einen
Lambert vollkommen zu würdigen. Es wäre nicht das erste Mal, wie Welt- und
Kulturgeschichte, ja die ganze Geschichte der Wissenschaften erweist, daß ein guter
Gedanke erst nach hundert Jahren zur Ernte reif wird. Dringen wir indes in die ver
borgenen Tiefen der Entwicklung der geographischen Wissenschaft ein, so werden
wir hier und da Stellen entdecken, die zeigen, daß Lambert auch bei seinen Zeit
genossen, die von tieferm geographischem Interesse erfüllt waren, nicht spurlos vor
übergegangen ist. Tob. Mayer d. J. 6 , späterhin Reichard und andere hatten die
Zweckmäßigkeit der Lambertschen flächentreuen Projektionen hervorgehoben.
J. E. Bode zeichnete eine „Weltkarte“ in Lamberts flächentreuer Azimutal
projektion. 7 Nachdem er den Vorzug der Lambertschen Entwurfsart gegenüber
1 So in der Zeitschrift d. Ges. f. Erdkde. Berlin 1884, 19. Bd., S. 1; ferner in der Zeitschr.
für Vermess., 1884, S. 293; und vor allem in dem Leitfaden der Kartenentwurfslehre, Leipzig 1884.
2 N. Herz: Die Landkartenprojektionen. Leipzig 1885.
3 M. Fiorini: Le projezioni delle carte geografiche. Bologna 1881. Wohl eines der besten
und ausführlichsten Kartenprojektionswerke.
4 In ähnlicher Weise äußert sich auch H. Wagner im Vorwort zum XVII. Jahrgang des
Geographischen Jahrbuches.
5 J. Frischauf: Beiträge zur Geschichte und Konstruktion der Kartenprojektionen. Graz
1891. Die Beiträge sind insonderheit den Manen Johann Heinrich Lamberts gewidmet.
6 J. T. Mayer: Gründlicher u. ausf. Unt., a. a. O., S. 20.
7 Als Beilage zu G. E. Bo des Anleitung zur allgemeinen Kenntnis der Erdkugel. 1. Aufl.
Berlin 1786; 2. durchgehends verbesserte u. vermehrte Aufl., Berlin 1803.