132
Das Kartennetz.
Verhielten sich damals die weitem kartographischen Kreise zunächst noch ab
lehnend gegen die Tissot sehen Neuerungen, so währte es doch erfreulicherweise nur
kurze Zeit, bis das Gute dieser neuen Auffassung sich mit Macht Bahn brach. Deutsche
Theoretiker, wie Zöppritz, Hammer, Bludau u. a., befaßten sich mit der Wahl
der Projektionen für die Landkarten der Hand- und Schulatlanten und erhärteten
auch an praktischen Beispielen die neue Theorie. 1 Vor allem hielt um die Wende des
neuen Jahrhunderts die flächentreue Azimutalprojektion von Lambert ihren Sieges
einzug in die Schulatlanten; er wurde hauptsächlich durch den Mittelschulatlas von
Liiddecke eröffnet. Die gleiche Projektion für die Hemisphäre änderte E. Hammer,
durch die Projektion von Aitow angeregt 1 2 , ab und erweiterte sie zu einer flächentreuen
Projektion für die Holosphäre 3 ; als „Hammersche Projektion“ fand und findet sie,
besonders durch eine größere Einzelausgabe in 1 : 80000000 durch Bludau gefördert 4 ,
gebührende Anwendung in Einzeluntersuchungen und umfassenden geographischen
Werken.
Die neuen Lehren der Projektionstheorie den Entwürfen der Handatlaskarten
zugänglich gemacht zu haben, ist das große Verdienst von E. Debes. 5 Er wandte
neben den ältern Projektionen, wie der Delisleschen und Bonneschen Projektion,
besonders die Lambert-Gaußsehe konforme Kegelprojektion an, fernerhin speichen
treue Entwürfe, bzw. mittabstandstreue Entwürfe mit verschieden gewählten Pro
jektionspolpunkten und Breusings vermittelnden azimutalen Entwurf. Diese Pro
jektionen waren bisher in den Atlanten so gut wie nicht vertreten, und die alten,
bisher nicht gepflegten Kartennetze konnten hinsichtlich der Wiedergabe des Karten
bildes, d. h. eines naturähnlichern Bildes mit den neuen Entwürfen nicht wetteifern.
Daß A. Bludau bei der neuen Herausgabe des Handatlasses von Sohr-Berghaus
die neuen Errungenschaften der Projektionslehre berücksichtigen würde, ist ohne
1 Die diesbezüglichen Aufsätze befinden sich hauptsächlich in der Zeitschr. der Ges. f. Erdkde.
zu Berlin und in Pet. Geograph. Mitt. Neben dem Werke von E. Hammer „Über die geographisch
wichtigsten Kartenprojektionen“ kommt besonders der Abschnitt über „die Auswahl der Projektion
von geringster Verzerrung“ in K. Zöppritz' „Leitfaden der Kartenentwurfslehre“, Leipzig 1884,
S. 105ff. in Betracht, sowie Zöppritz’ Aufsatz: „Die Wahl der Projektionen für Atlanten und
Handkarten“ in der Zeitschr. d. Ges. f. Erdkde. zu Berlin, 1884, Bd. 19, S. lff. — Eine gute und
allgemein verständlich gehaltene Erörterung der Erwägungen, die bei der Wahl des Netzentwurfes
für eine bestimmte Karte in Betracht kommen können, bietet A. Bludau in der G. Z. 1. Jahrg. 1895,
S. 497 ff.: „Über die Wahl der Projektionen für Landkarten der Hand- und Schulatlanten“. —
Mancherlei Anregung gibt auch eine von anderm Standpunkt als die vorhergehenden Aufsätze auf
gefaßte Erörterung von H. Struve: „Landkarten, ihre Herstellung und Fehlergrenzen“; Berlin
1887 (Sonderabdruck aus dem „Archiv für Post und Telegraphie“). — Vgl. auch C. Vogel über die
Wahl der Projektion „Aus allen Weltteilen“, Jahrg. 12, S. 144.
2 Die Planisphäre von M. D. Aitow i. Nouv. Geogr. 1892, S. 89.
3 E. Hammer: Über die Planisphäre von Aitow und verwandte Entwürfe, insbesondere
neue flächentreue ähnlicher Art. P. M. 1892, S. 85—87.
4 Die von Bludau herausgegebene „Umrißkarte in flächentreuer Planisphäre“ nimmt keinen
Bezug auf Hammer, weshalb der Irrtum verbreitet wurde, als habe Bludau auf anderm Wege wie
Hammer eine gleiche selbständige Projektion gefunden. So führe auch ich in meiner Untersuchung
„Neue Entwürfe für Erdkarten“ (Pet. Mitt. 1906, S. 97) noch Bludau neben Hammer an als einen,
der eine besondere Projektion gefunden hat. Bludau erkennt aber vollständig die Priorität Hammers
an und ist, wie er mir seinerzeit brieflich mitteilte, der Meinung, die bewußte Projektion nur
„Hammersche Projektion“ zu nennen. Freilich hätte er diesem Gedanken auch auf der von ihm
herausgegebenen Umrißkarte öffentlichen Ausdruck verleihen müssen.
5 Neuer Handatlas. 1. Aufl. Leipzig 1895. 4. Aufl. Leipzig 1913.