Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

Allgemeinere geographische Anforderungen an die Kartennetze. 
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auf der Erdfläche in gerader Linie, das will eigentlich sagen auf einem größten Circuì 
der Sphäre, liegt, das soll auch in der Landcharte in gerader Linie liegen. 5) Die geo 
graphische Länge und Breite der Oerter soll auf der Charte können gefunden werden 
etc. Das will nun überhaupt sagen, die Landcharten sollen in Absicht auf ganze 
Länder, ganze Weltteile oder die ganze Erdfläche durchaus eben das sevn, was ein 
Grundriß in Absicht, auf ein Haus, Hof, Garten, Feld, Forst etc. ist. Dieses würde 
nun ganz wohl angehen, wenn die Erdfläche eine ebene Fläche wäre. Sie ist aber eine 
Kugelfläche, und damit läßt sich nicht allen Bedingungen zugleich Genüge leisten, 
sondern man muß sich eine oder einige davon besonders vorsetzen, wenn es sich der 
Mühe lohnt, derselben vorzüglich Genüge zu leisten.“ 
Die von Lambert zusammengefaßten Ansichten blieben herrschend und sind 
im Grunde genommen ja auch heute noch herrschend; wir begegnen wieder den 
gleichen Ansichten fast mit ähnlichen Worten vor rund einem halben Jahrhundert 
in Petermanns Geographischen Mitteilungen. 1 Und vergleichen wir die ältern Dar 
legungen mit den neuern, so will es uns bedünken, als ob die alten Bedingungen geo 
graphischer klängen als die modernen. Die Bestrebungen der modernen Karten- 
theoriker haben wohl unser mathematisches Gewissen hinsichtlich der 
Projektionen geschärft, aber dabei nicht selten unser geographisches 
Sehen verkümmert. 
(»5. Die geographische Analyse der Erdkugelnetze. Das Verzerrungsgesetz be 
stimmt gleichsam das ganze innerhalb von geographischen Koordinaten umschlossene 
Flächenstück. Es ist eine Art quantitativer Analyse, die mit einem durch geo 
graphische Koordinaten eingeschlossenen Kugelflächenstück nach seinen dimensionalen 
Veränderungen vorgenommen wird. 1 2 Aber auch die qualitative Analyse muß 
hei der Wahl der Projektion berücksichtigt werden, und diese wird wesentlich von den 
geographischen Eigentümlichkeiten des Erdkugelnetzes geleitet. 
Das Gradnetz unserer Erdkugel ist kein zufälliges. Haben wir es auch dem 
Himmel entlehnt, so drückt es doch so spezifisch terrestrische Eigentümlichkeiten 
aas, daß es Halt und Gerippe für das Verständnis geographischer Erscheinungen ist; 
und es ist, als ob auf diese durch das Gradnetz gestützte geographische Tatsachen 
viele der neuen Projektionen keine Rücksicht nehmen wollen und können. Das Grad 
netz ist das wichtigste Hilfsmittel zur Orientierung auf der Erdkugel und hat gleich 
sam etwas Apriorisches an sich, indem es ermöglicht, geographische Erfahrungen 
zu machen und des weitern sie zu lokalisieren. Darum muß von vornherein in dem Grad 
netz etw r as Bestimmtes, Festes, sagen wir „Starres“ liegen. Das offenhart sich in den 
gleichweit entfernten Parallelen und den senkrecht darauf stehenden Meridianen, 
die sich in den Polen vereinigen. Bekanntlich drücken die Breitenparallele die Ost 
westrichtung aus und die Meridiane die Nordsüdrichtung. Beide Richtungen ergeben 
die Koordinaten jedes Punktes auf der Erdkugel, und damit die genaue Lage. Die 
Frage nach der Lage, nach dem Wo? ist ja die Kardinalfrage jeder geographischen 
Disziplin: „Denn was nutzt mir die Kenntnis der Gesetze der geographischen Er 
scheinungen, wenn ich nicht weiß, wo diese Erscheinungen sind?“ fragt Friedrich 
1 P. M. 1865, S. 115. Der Verfasser des Aufsatzes ist E. Debes, wie dieser mir am 4. VIII. 
1910 brieflich mitteilte. 
2 Man vgl. mit meiner Auffassung: M. Fiorini in Le projezioni quantitative ed equivalenti 
della cartografia (Bolettino della società geografica italiana 1887. 2 e Serie X, XI, XII).
	        
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