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Das Kartennetz.
apfelschnittförmige Erdkarte. 1 Die polykonische Projektion, von ähnlicher Umriß
form wie der Augustsche Entwurf, eignet sich ebenfalls nicht zur Darstellung der
ganzen Erde. 1 2 Die blatt- und blütenförmigen Umrißkarten, wie sie W. Schjer-
ning ersonnen hat, tragen zn offenkundig den Stempel des Gekünstelten. 3 Viel
Geschmack ist ihnen wahrlich nicht abzugewinnen und man kann sie ruhig, ohne
irgendeinen wissenschaftlichen Fortschritt benachteiligt zu haben, ad acta legen. Über
sie hätte A. Breusing sicherlich gespottet; spricht er doch im Hinblick auf die Stern
projektionen der Erde von Steinhäuser, Jäger, Petermann und Berghaus
als von „leeren Spielereien“. Desgleichen können die Versuche, das Erdbild in mehr
oder minder breite Globusstreifen aufzulösen und sie aneinander zu reihen, wie es die
Franzosen schon früher versucht haben und in neuerer Zeit mit nicht zu verkennen
dem Geschick von Sipman wiederholt ist 4 , aus den bereits genannten Gründen
nicht befriedigen.
70. Die geographische Kritik an der Mercatorprojektion. Unter den bisher üb
lichen Projektionen wurde zuerst den stereographischen Projektionen, sodann
der Bonneschen, der Mercator-Sansonsehen und gegenwärtig der Mercatorkarte
hart zugesetzt, während den erstem mehr von mathematischer, so der Mercator
projektion mehr von geographischer Seite. Immer deutlicher gibt sich das Bestreben
kund, den Wert der Projektion mehr nach dem Anwendungsbereich, dem Zweck
zu ermessen. So geeignet die Mercatorkarte als Seekarte ist, so ungeeignet ist
sie als Landkarte. Das hat man bereits in ältern Zeiten erkannt und Bode scheidet
genau die Seekartenprojektion von den Landkartenprojektionen 5 , und Kries schreibt
direkt: „Zur Verzeichnung eines Landes würde die Entwurfsart (Mercatorprojektion)
nicht taugen, weil sie die Gestalt desselben, besonders nach den Polen hin, sehr ent
stellen würde, und der Vorteil, den sie dem Schiffer gewährt, hier keine Anwendung
fände.“ 6 — Man erkannte das Mißliche der Mercatorkarte, aber man gebrauchte sie
weiter als Landkarte.
In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts setzte die geographische Kritik
gegen die Mercatorkarte etwas mehr ein, hatte aber auch damals noch nicht die
gewünschte Wirkung. Als A. Petermann eine genaue Reduktion der von
1 Wiedergegeben bei Zöppritz-Bludau. I. S. 185.
2 Desgleichen hat die apfelförmige, dem Umriß der rechtwinkligen polykonischen Projektion
ähnliche Erdabbildung (eine Erweiterung der Globularprojektion) von H. Bouthillier de Beau
mont keinen Eingang in die praktische Kartographie gefunden. Vgl. de Beaumont: De la pro
jection en cartographie et présentation d’une nouvelle projection de la sphère entière comme plani
sphère (Le Globe, Genf 1888. VII, S. Iff.).
3 Vgl. Taf. Ill von Schjemings Abhandlung Über die mittabstandstreuen Karten, a. a. O. —
Auch wiedergegeben bei Zöppritz-Bludau. I. S. 201.
4 Sipmann: Globuskarte, Weltkarte in Teilkarten in einheitlichem Flächenmaßstabe.
Berlin 1907. Auf dieser Erdkarte ist die Erde in sechs Globusstreifen zerlegt. Der Verfasser empfand
das Trennende des Weltbildes durch diese Darstellung und erweiterte darum ie Globusstreifen oder
Hauptkarten über ihre eigentlichen Kartenränder hinaus. Die so geschaffenen Ergänzungskarten
können aber die Trennung nicht beheben. Trotz aller Versöhnungsversuche der sich trennenden
Glieder verbleibt dem Bilde etwas Unruhiges und Ungelöstes. Auch dieser an sich sehr lehrreiche
Versuch zeigt wiederum, daß das geschlossene Erdbild selbst bei mancherlei Verzerrungen doch die
bessere Gesamtübersicht über die Erde ergibt.
5 J. E. Bode: Anleitung zur allgemeinen Kenntnis der Erdkugel. 2. Aufl. Berlin 1803, S. 327ff.
6 Fr. Kries: Lehrbuch der mathematischen Geographie. Leipzig 1814, S. 220.