188
Das Kartennetz.
i
weiß genau, was darunter zu verstehen ist. Der Ausdruck „kongruente“ Soldner-
sche Koordinaten erklärt sich wegen ihrer Eigenschaft, daß die abgetragenen Ordinaten
und Abszissen gleich lang sind wie die entsprechenden Meridianabstände und Meri
dianabschnitte 1 , doch ist er unglücklich gewählt und gibt zu Mißdeutungen Anlaß,
darum am besten auch zu verwerfen.
Die Cassini sehe wie Soldner sehe Projektion kann man als Zylinderprojektion
ansehen, bei der ein Zylinder die (kugelförmig vorausgesetzte) Erde im Mittelmeridian,
d. h. den gewählten Nullmeridian des abzubildenden Landes berührt. 2 Deshalb wird
sie rein sachlich als eine transversale zylindrische Projektion mit längentreuenHaupt-
kreisen bezeichnet. 3 Legt man bei der Soldner sehen Projektion das Schwergewicht
auf die berechneten und abgebildeten Trapeze, dann spricht man auch von einer
„Soldnerschen Polyederprojektion“ 4 , ganz gleich, ob die bayrischen Steuerblätter
oder die Blätter der Topographischen Karte vom rechtsrheinischen Bayern 1 : 25000,
die nach dem gleichen Prinzip wie die Steuerblätter entworfen sind, 5 bei der Ver-
ebnung nahezu quadratische Größen haben. In der Cassinischen Zylinderabbildung
finden wir in Deutschland noch die Topographische Landeskarte von Braunschweig
1 : 10000 und die Karte 1 : 25000 von Hessen.
Die Soldnerschen Koordinaten haben auch die deutsche Kriegskartographie
beherrscht, wenigstens an der Westfront. Als der Krieg zum Stellungskrieg ausartete,
konnte das vorhandene französische Kartenmaterial nicht mehr genügen und war
man deutscherseits wie auch auf seiten der Franzosen und Engländer gezwungen,
das Land topographisch neu aufzunehmen und Karten mit neuem, artilleristisch
brauchbarem Gitternetz zu schaffen. Da es sich um die großen Maßstäbe 1 : 5000 bis
1 : 25000 handelte und irgendwelche Direktiven zu einem einheitlichen Koordinaten
system für die gesamte Westfront von der deutschen Landesaufnahme nicht vorgesehen
und gegeben waren, war es mehr als natürlich, das bewährte und einfach zu hand
habende Soldnersche Koordinatensystem, das in der gesamten deutschen Kataster
messung gang und gäbe war, auf das Kriegsgelände zu übertragen. Da man infolge
der w r estöstlichen Ausdehnung der Frontgebiete, rund fünf Längengrade, mit ein
maliger Anwendung des Systems nicht auskommen konnte, entstanden infolgedessen
eine Anzahl Soldnersche Koordinatenbereiche mit den Nullmeridianen in Verdun,
Pont Faverger, Beims, Laon und Lille. Sie sind dem deutschen Kriegsvermessungs-
wesen nach dem Kriege als ein Fehler sowohl von deutscher wie von englischer Seite
vorgeworfen worden 6 ; doch das ganz zu Unrecht, wenn man nur einigermaßen die
Entstehungsgeschichte der Koordinatensysteme kennt. Es soll nicht in Abrede ge
stellt werden, daß der Wechsel von einem Koordinatensystem der einen Armee zu
dem der andern von der Artillerie in den Grenzgebieten der Armeen unangenehm
empfunden wurde. Nachdem aber die Artillerieoffiziere überzeugt worden waren,
1 W. Jordan in d. Z. f. Verm. XXV, 1896. Kongruente oder konforme Koordinaten, S. 193ff.
Soldnersche oder Gaußsche Koordinaten, S. 321 ff.
2 E. Hammer: Darstellg. einer Erdkugel, a. a. O., S. 47, 48.
3 E. Hammer: Üb. d. geogr. wichtigsten Proj., a. a. O., S. 19.
4 A. Egerer, a. a. O., S. 31.
5 Der Blattrand entspricht einer Naturlänge von 3200 bayrisch. Ruten = 9339,5 m, d. i. in
1 : 25000 =
9339,5-1000
25000
= 373,6 mm.
6 Man vgl. hierüber eine Anzahl Aufsätze in den Jahrgängen 1919 und 1920 i. d. Z. f. Verm.
u. im Geographical Journal.