Die lineare Topographie.
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hervorragender Dienst geleistet. Fast in ähnlicher Weise wie Tafel verfuhr W. Filch-
ner bei seinen Aufnahmen in Nordost-Tibet 1 ; indessen sind die Aufnahmen von
Tafel in bezug auf Sorgfältigkeit höher zu bewerten.
111. Die deutsche Kolonialtopographie und -kartographie. Südamerikanische,
afrikanische und asiatische Kartenbilder, die uns heute in bedeutenden Atlanten
sowohl wie in Einzelkarten entgegentreten, gründen sich auf die Ergebnisse von
Itinerarien, die im Laufe von ein bis zwei Jahrhunderten angesammelt worden sind.
Eine wesentlich kürzere Entwicklung, rund die eines Menschenalters, liegt in der
deutschen Kolonialkartographie vor. 1 2 Da sie vorderhand einen Abschluß
erreicht hat, gibt sie in extenso ein vorzügliches Lehrbeispiel, bei dem sich all die
Fehler und Vorteile der einzelnen Aufnahmemethoden, wie sie bisher bei Kolonial
ländern und ähnlichen Landgebieten verwendet wurden, nach weisen lassen. Von
der primitiven Aufnahme der bloßen Erkundung und der Aufnahme mit Uhr und
Kompaß an bis hinauf zur geodätischen Aufnahme und astronomischen Ortsbestimmung
— letztere beiden vorzugsweise bei der Festlegung von Landesgrenzen — haben das
Material für die deutschen Kolonialkarten geliefert. 3 Auch der Ausbau der Verkehrs
wege, Eisenbahnen und Kunststraßen und die Farmvermessungen der Landmesser
hatten eine große Anzahl detaillierter Aufnahmen gezeitigt, die mit großem Nutzen
beim Aufbau des Kartenbildes gebraucht wurden. Infolge dieses verschiedenartigen
und ungleichwertigen Aufnahmematerials verbietet es sich von vornherein, den Grad
der Genauigkeit von den Kolonialkarten wie von den Karten des Mutterlandes zu
fordern. Schon aus technischen, zeitlichen, pekuniären und Nützlichkeitsgründen
mußte man von der Forderung absehen, die Schutzgebiete in gleicher oder ähnlicher
Weise wie das Mutterland zu vermessen.
Die Entwicklung der deutschen Kolonialkartographie ist etwas älter als der
deutsche Kolonialbesitz selbst. In den alten Weißbüchern des Auswärtigen Amtes
befinden sich die ersten sichern Hinweise des deutschen Handels mit Gebieten, die
später deutsche Kolonien wurden. Diese Veröffentlichungen sind durch Inhalt und
Kartenbeilagen kolonial-historisch wie kartographisch-historisch interessant. In
ihnen finden wir die ersten eigenen Karten deutscher Kolonien. Die ersten Karten
bilder, von L. Friederichsen in Hamburg entworfen und gezeichnet, verglichen
mit den jetzigen Karten, geben den anschaulichsten und besten Beweis für den Fort
schritt in der geographischen und wirtschaftlichen Erschließung der deutschen Kolonien.
Da erkennt man, daß die deutsche Nation innerhalb von drei Dezennien bereits eine
beachtenswerte große Arbeit in Übersee geleistet hat, der sich schlechterdings in
Bücksicht auf die Kürze der Zeit von seiten der andern Kolonialvölker, wie England,
1 W. Filchner: Wissenschaftliche Ergebnisse meiner Expedition nach Nordost-Tibet 1904.
Karten, aufgenommen v. W. Filchner u. G. Scholz. Berlin 1907.
2 Über die deutsche Kolonialtopographie vgl. auch folgende Kapitel, was über Jäger, Kohl
schütter usw. gesagt ist.
3 Über die Entwicklung der deutschen Kolonialkartographie vgl. folgende Arbeiten von mir:
„Die deutsche Kolonialkartographie“ in Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910.
Berlin 1910. „Entwicklung und gegenwärtiger Stand unsrer Kolonialkartographie“ in Deutscher
Kolonialzeitung 1910, Nr. 11, 12, 13, 14. Außerdem habe ich sie eingehender berücksichtigt in den
Berichten über die „Fortschritte in der geographischen Erschließung unserer Kolonien“, die von 1908
bis 1914 in dem Jahrbuch über'die deutschen Kolonien, Essen, herausgegeben von K. Schneider,
erschienen.