Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

Allgemein Methodisches und Kritisches. 
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Die praktische Kartographie arbeitet in zweckbestimmten und verschieden - 
gradig mechanisch bestimmten Dichtungen. Der einzelne praktisch schaffende Karto 
graph vermag kaum das große wissenschaftliche Ganze zu überblicken. Damit soll 
ihm kein Vorwurf gemacht werden. Er kann es aus natürlichen Gründen nicht. Seine 
mühselige und langwierige Arbeit, bei der sich im engen Kreis wissenschaftlicher Scharf 
blick und künstlerisches Gefühl mit manueller Fertigkeit paaren müssen, absorbiert 
seine Kräfte in dem Maße, daß ihm die Zeit zu umfassenden geographischen Studien 
ermangelt. Daß das einseitige Urteil mancher Kartographen hierin einen entschuld 
baren Grund findet, ist leicht erklärlich. Die wissenschaftliche Kartographie wird 
mancherlei Dinge berühren, die der praktische Kartograph aus „Instinkt“ oder „natür 
lichem Takt“ befolgt. 1 Ihm muß es doch wohl im hohen Grade willkommen sein, wenn 
er aus dem Instinkt heraus zum vollen Bewußtsein geführt wird. Beachtenswerte 
Anläufe dazu finden wir in einigen kartographischen Untersuchungen, die von akade 
misch gebildeten Kartographen, von H. Fischer, E. Friedrich und besonders von 
K. Peucker herrühren. 
Bei einem tüchtigen Kartographen nimmt man jetzt als selbstverständlich an, daß 
er eine wissenschaftlich geographische Bildung besitze, nicht aber von einem Geographen, 
daß er kartographisch gebildet sei, und doch muß man gleichfalls verlangen, daß ein 
tüchtiger Geograph, wenn auch nicht kartenpraktisch, so doch kartentheoretisch durch 
gebildet sei. Die Annahme E. Hammers, daß der Geograph, der nicht einmal die 
mathematischen Grundlagen der Karte versteht und anwenden kann, kein „eigentlicher“ 
Geograph ist, können wir nur bestärken. Nun ist es aber nicht bloß die mathematische 
Grundlage, sondern noch viel mehr und anderes, was der Geograph von der Karte 
wissen muß. In der theoretisch kartographischen Ausbildung ist noch sehr viel zu tun 
und nachzuholen. Mancher Geograph soll nur nicht in allerhand Ausflüchten seine 
Interesselosigkeit oder Unkenntnis bekunden oder gar befürchten, zum praktischen 
Kartographen ausgebildet zu werden, wozu bekanntlich eine ganz besondere Ver 
anlagung gehört. Ein tüchtiger Theaterrezensent braucht noch kein Dramaturg zu 
sein, wenn der Dramaturg selbst des kritischen Talentes nicht bar sein darf. Die wissen 
schaftliche Kartographie verhält sich zur praktischen ähnlich wie die Kunstgeschichte 
zur Kunst, wie der Literaturhistoriker zum Dichter. Wenn auch die Künstler mehr oder 
minder instinktiv die Gesetze der Perspektive, des anatomischen Aufbaues des Körpers, 
des Khythmus und des Versbaues in ihren Werken befolgen, so macht das Bild, die 
Skulptur, die Dichtung, die Sonate noch keine Wissenschaft, wohl aber das feinsinnige 
Auf spüren und Festlegen der ästhetischen, psychologischen und physiologischen Ge 
setze, die die Künste miteinander verbinden, und deren Erkennen geeignet ist, nicht 
bloß den Schaffenden, sondern auch den Genießenden ein Stück in der Menschheits 
geschichte vorwärts zu bringen. 
Wie der Kartograph seine praktische Domäne auf kartographischem Gebiete hat, 
so der Wissenschaftler seine theoretische. Aber beide gehen nicht nebeneinander, 
sondern miteinander, da sie aufeinander angewiesen sind. Außer einem Korrektiv und 
gesetzgebenden Faktor soll die wissenschaftliche Kartographie der geistvolle Inter 
pret der praktischen Kartographie sein. So bedingen und ergänzen beide einander. 
Nur aus beider Zusammenwirken kann das entstehen, was wir in der Karte als Nieder 
1 Vgl. das, was H. Habenicht über K. Peucker sagt. P. M. 3901. LB. 607, S. 149. Die 
Forschiuigstätigkeit der Gelehrten hat H. Habenicht bei seinen Ausführungen übersehen.
	        
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