Die Luftbildkarte.
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Nach der richtigen Abwägung der Vor- und Nachteile der Fliegerphotographie
kann es nicht schwer fallen, sich ein Urteil über den Wert der Luftaufnahme für
größere Kartenunternehmungen zu bilden. Bei einem Neuland, d. h. einem topo
graphisch noch nicht erschlossenen Lande, die Kartendarstellung lediglich auf Luft
aufnahmen zu gründen, bleibt gewagt. Gut Brauchbares und der Geographie am
meisten Dienendes wird sie nur da leisten, wo die trigonometrische Festpunktbestimmung
vorweg gegangen ist. Sie mag ja für sich allein ein schönes und brauchbareres Bild
als die meisten flüchtigen Routenaufnahmen geben, aber kartographisch befriedigen
wird sie nicht. Für die Kolonialländer und die Gebiete, wo topographisch eigentlich
fast noch alles zu leisten ist, sind neben der trigonometrischen Festpunktbestimmung
die Reihenbildaufnahmen in Verbindung mit den Aufnahme- und Meßverfahren
von Hugershoff oder von Pulfrich die gegebenen topographischen Aufnahmeverfahren;
und neben der trigonometrischen kann gegebenenfalls die Festpunktbestimmung
aus der Luft für genannte Gebiete von Bedeutung werden. Noch vor wenigen Jahren
erblickte man für gleiche Zwecke in der Scheimpflugschen Aufnahme das einzige
Mittel. 1 Heute denkt kaum noch jemand daran.
V. Die Luftbildkarte.
138. Das Wesen der Luftbildkarte oder der besondern Flugbildkarte. Lediglich
aus Fliegerbildern ein Kartenbild zusammenzustellen, hat nur für einzelne enger
umschlossene typische Landschaftsgebiete Zweck, nicht aber für ausgedehntere Ge
biete. Während des Krieges hat einmal auf nicht zu lange Zeit die Flug- oder Luft
bildkarte von sich reden gemacht; ja sie wurde als „Karte der Zukunft“ reklame
haft gepriesen, allerdings nicht von seiten des Kriegsvermessungswesens. Auf sie
näher einzugehen, lohnt insofern, als die genaue Kenntnis und Erfahrung darüber
geeignet sind, vor ähnlichen kostspieligen und zwecklosen Unternehmungen, die
heute noch verschiedene Fachleute und Laien beschäftigen, zu warnen.
Bei der Herstellung der Luftbildkarte ging man zunächst von der Voraussetzung
aus, daß ein Fliegerbild innerhalb geringer Ausdehnung eine genauere Wiedergabe
der natürlichen Verhältnisse als die Karte ist. Ein Einzelbild kann unter Umständen
ein unbedingt naturgetreues Geländebild sein, niemals eine Karte. Nach dieser
Richtung müssen auch wir Geographen unser Urteil über die Karte korrigieren;
wieviel wird nicht von „naturgetreuen Karten“ oder „naturgetreuen Gelände
darstellungen“ gesprochen und geschrieben, wo es sich höchstens um Naturähnlich
keit handelt. Die Naturtreue des Einzelfliegerbildes war die Veranlassung, es in
größerer Anzahl zusammenzusetzen. Man achtete bei einer Reihe von Einzel- und
Reihenbildaufnahmen tunlichst auf gleiche Kammer, Tageszeit, Höhe, gleichen Höhen
messer, auf gleichmäßige Beleuchtung und Innehaltung eines einheitlichen Maßstabes
während der Aufnahme. Für die Herstellung der Luftbildkarte kamen nur senk
rechte Aufnahmen in Frage. Daß sie oft nicht senkrecht sind, wissen wir. Sie müssen
1 So Th. Scheimpflug selbst in dem Artikel: Zur Kolonialvermessung aus der Vogelperspek
tive. S.-A. aus Nr. 41 des Frankfurter Wochenblattes „Die Mainbrücke“ vom 9. Oktober 1909. —
Ferner K. Peucker in dem Referat über Das Verfahren Theodor Scheimpilugs für aerophotogram-
metriscbe Landesaufnahme für das k. k. Handelsministerium in Wien. — G. Kämmerer: Das Flug
wesen in den Kolonien. Deutsche Kolonialzeitung 1912.