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Die Kartenaufnahme.
daher entzerrt und auf ungefähr gleichen Maßstab gebracht werden. Nachdem die
so behandelten Luftbildaufnahmen zu einem großem kartenförmigen Bilde zusammen
gesetzt worden waren, überzog man die so entstandene Luftbildkarte mit einem der
Karte entsprechenden Koordinatennetz. Man gab den Luftbildkarten die Maßstäbe
1 : 5000 und 1 : 10000, jene umfaßte 3 (Breite) x 5 knf (Höhe), also 15 qkm, diese
6 X 10 km oder 60 qkm, bzw. Planquadrate. Große Vorkehrungen waren bereits
getroffen worden, verschiedene Gebiete der Westfront reichlich mit diesen Luftkarten
auszustatten, als sich das ganze Unternehmen zerschlug.
Bei der äußern Form der Karte verbinden wir ganz feste Begriffe für vermessungs-
und kartographischtechnische Genauigkeit. Diese fehlte der Luftbildkarte. Bei
der von mir seinerzeit unternommenen Untersuchung differierte der Maßstab zwischen
den einzelnen Blättern bis zu 10%. Selbst innerhalb eines Kartenblattes war ein
Schwanken des Maßstabes festzustellen, was bei der Zusammensetzung von nicht
durchgängig gleichwertigen Bildern vorauszusehen war. Vollständig versagte die
Luftbildkarte bei dem von der Karte übernommenen und ihr nachträglich aufgezwunge
nen Kilometer-Koordinatennetz. Standen bei dem Einpassen ins Koordinatennetz
viele Festpunkte zur Verfügung, paßte das Netz noch einigermaßen, das dort, wo
nur wenige Punkte vorhanden waren, ganz aus den Fugen ging, wenn es auch äußer
lich eine gewisse Gleichmäßigkeit vortäuschte. Verschwenkungen des Netzes am
Kartenrand von 100—300 m waren nicht selten, in ostwestlicher Kichtung kamen
auf 3—6 km Entfernung Ausdehnungsfehler bis 400 m vor. Verglich man drei Punkte
auf der Luftbildkarte mit den gleichen der Karte, stimmten sie, wenn sie nahe bei
einander lagen, leidlich überein, je mehr sie sich voneinander entfernten, um so größer
wurden die Unterschiede zwischen Karten- und Luftbild. Die Luftbildkarte machte,
mit kartographischem Maß gemessen, durchaus einen unfertigen Eindruck, für den
allerdings der ganze Werdegang der Luftbildkarte verantwortlich war. Wird bei
einer Karte erst das Netz konstruiert und dann der Karteninhalt hineingegossen,
wurde bei der Luftbildkarte erst der Inhalt zusammengesetzt und dann in das Netz
hineingepreßt, was ebenso verkehrt ist, als wenn man ein Haus aus Lehm erst bauen
und ihm nachträglich das Holzgerüst einfügen wollte.
139. Der Wert der Luftbildkarte. Kein Kartenersatz. Das Urteil über die Luft
bildkarte hatte kaum jemand besser als die Truppe selbst gesprochen: Man gebrauchte
sie nicht. Bei den dafür aufgewandten Verbrauchsstoffen, Zeit und Arbeitskräften
war das eine herbe Enttäuschung. In dem Verhalten der Truppe gegenüber der
Luftbildkarte, die technisch einwandfrei hergestellt worden war, spricht sich deutlich
der große Unterschied zwischen Luftbild und Karte aus. Das Luftbild bringt als
getreue Wiedergabe der natürlichen Verhältnisse alle Erscheinungen des Geländes,
während die Karte auswählt, das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheidet
und das Wesentliche hinwiederum weiter noch generalisiert und mit verschiedener
Wert Steigerung zum Ausdruck bringt. Das menschliche Auge kann nicht mit einem
Male alle Einzelheiten der Natur umfassen und aufnehmen. 1 Der Unvollkommenheit
1 Menschen von merkwürdiger Aufnahmefähigkeit eines großem Ganzen durch einen Blick
gehören in das Bereich der berühmten Ausnahmen, wie z. B. der Hamburger Zacharias Dase (1824
bis 1861), von dem wahrheitsgetreu berichtet wird, daß er auf einen einzigen Blick von weniger als
Sekundendauer die Anzahl der Ziegel oder Schindeln auf dem Dach eines Hauses mit Sicherheit anzu
geben vermochte. Das klingt schon ans Wunderbare, wieviel schwieriger ist erst, die bunte Mannig
faltigkeit des Geländes mit einem Blick scharf zu umfassen.