14
Die Kartographie als Wissenschaft.
.Jener wird sich auch schneller in einem Kartenbild zurechtfinden als dieser. Lassen
Inhalt und Ausführung zu wünschen übrig, wird der Kenner gleichsam von Karten
fehler zu Kartenfehler stolpern und daran hängen bleiben, während der Kenntnislose
über die Versehen hinweggleitet und sie unbeanstandet bestehen läßt. Die Entschuldi
gung, daß auf einmal auf das beobachtende Auge zuviel Eindrücke einstürmen, kann
nicht immer als Ausrede frommen, wenn man auch manchmal Gnade für Recht wird
ergehen lassen. Übrigens beruht auf all diesen Hemmnissen auch die Schwierigkeit
der Kartenkorrektur, die sich mit der gewöhnlichen Textkorrektur kaum ver
gleichen läßt.
Sind Gelände, Wege, Flüsse, Ortschaften, Wälder, Kulturerscheinungen usw. in
einem Farbenton wiedergegeben, findet sich das Auge des Uneingeweihten zunächst
schwer zurecht. Ist er gewissenhaft, wird er jeder Einzelerscheinung besonders nach
gehen und sie auf ihre Richtigkeit prüfen. Erst dann werden sich alle die scheinbar dis
paraten Vorstellungen, die ein Kartenbild vereint, zu einem Gesamtbild in seinem Geiste
gestalten. Um diesen psychischen Prozeß zu erleichtern, verwendet die neuere Karten
technik Farben. Dadurch lösen sich aus dem Kartenhilde sofort die Gattungsbegriffe, die
sich umgekehrt auch wieder zu einem harmonischen Ganzen mühelos zusammenfinden.
Unstreitig erleichtert die farbige Differenzierung im Kartenhilde den Denk- und
Aufnahmeprozeß. Darum wird auch jederzeit der Laie von vornherein mehr unbewußt
zur bunten Karte greifen. Aber selbst in sachkundigen Kreisen wird man gegebenen
falls der gutausgeführten buntfarbigen Karte den Vorzug geben. Als Operationskarte
(für taktische Zwecke) war die kurz vor dem Weltkriege von dem englischen Kriegs
ministerium als geheim herausgegebene Karte Belgiens in 1: 100000 mit ihren braunen
10 m-Schichtlinien, grünen Wäldern, schwarzen Eisenbahnen und roten Wegen der
deutschen Generalstabskarte in 1: 100000, die einfarbig gedruckt ist, überlegen.
Jedoch muß das Bunte im Kartenbild Maß halten. Eine Überfülle an bunten
Zeichen, wie bei manchen Wirtschaftskarten, wirkt direkt schädlich, ist also jeglichen
Nutzens bar. Schade um die Arbeit an solchen Karten. Hier kann nicht genugsam
vor dem embarras de richesse gewarnt werden.
Eine gute Karte wird man stets an der mehr oder minder klaren ein- oder mehr
farbigen Hervorhebung der Einzelheiten erkennen oder, was dasselbe ist, an der Art
und Weise, wie sie dem psychischen Mechanismus Rechnung zu tragen versteht. Darum
wird die photographische Karte, die durch irgendein Luftfahrzeug aufgenommen ist
und das sklavische Abbild der Gesamtgegend ist, nie mit der manuell konstruierten
Karte konkurieren können. Weil sie eben alles bringt, bringt sie nichts. Die photo
graphische Platte erfaßt alle Einzelheiten des Geländes, oh wichtig oder unwichtig,
mit gleicher Schärfe und einem Schlage, nicht aber der menschliche Geist. Der sondert,
wählt und verfolgt das Einzelne und das für ihn Wichtige. Und diesem Vorgänge des
psychischen Mechanismus kommt die Karte in ihrer Konstruktion nach, sie hebt zum
bessern Verständnis und leichterm Gebrauch das Typische hervor, bildet und ver
anschaulicht Begriffe und Urteile, was dem photographischen Kartenbild versagt bleibt.
Wie jede Wissenschaft auf den höhern Stufen hat auch die geographische
Wissenschaft die ökonomische Tendenz, Arbeit und Kraft zu ersparen. Die Karte ist
durch ihre Zusammenfassung das sichtbare Mittel dieser ökonomischen Tendenz. Zu
nächst ist die Karte eine Nachbildung geographischer Beobachtungen und Erfahrungen
aus erster Hand. Des weitern ist sie geeignet, körperliche Strapazen, fruchtlose Ver
suche und falsche Schlüsse, die jede ursprüngliche Forschung mit in Kauf nehmen muß,