Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

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Die Kartographie als Wissenschaft. 
gegnen uns Spezialkarten, die in der Tat auf den Namen topographische Karten An 
spruch erheben können, wie G. Mercators große „Karte von Flandern“ aus dem Jahre 
1540 und die „Bayrische Landtafel“ von Philipp Apian aus dem Jahre 1566. Ferner 
darf Comenius Moraviae vom Jahre 1645 1 bei einer Geschichte der topographischen 
Karte nicht übergangen werden. Die modernen vom Militär aufgenommenen und heraus 
gegebenen topographischen Karten hatten ihren bedeutenden Vorläufer und ihr Muster 
bild in der nicht militärischen Carte de la France 1: 86400, die auf der 1750—1798 von 
Jaques und César Cassini vorgenommenen Triangulation von Frankreich beruhte. 
Da all diese Klarstellungen eine intensivere Erörterung erheischen, als sie in einem 
Einleitungsabschnitt gegeben werden kann, muß sie einer spätem ausführlichen Unter 
suchung überwiesen werden. Ausdrücklich sei jedoch hier hervorgehoben, daß dadurch 
die Verdienste der offiziellen Kartographie keineswegs herabgemindert werden sollen. 1 2 
Nur darf nicht Glanz und Verdienst des einen die Wahrheit des andern verdunkeln. 
Jeder Sachkenner weiß, daß erst dadurch, daß das Militär die topographischen Auf 
nahmen in die Hand nahm, die für ihre Zeit gewünschte Großzügigkeit und Schnellig 
keit in das Unternehmen kam; und dies war gewiß nicht die schlechteste Episode in 
dem Gang der Geschichte der Karte. Bis jetzt war es deren glanzvollste Zeit. Das wird 
auch die Ziviltopographie neidlos anerkennen (s. § 96). 
Die feinere Kartenkritik hält sich nicht bloß an die Formen und Zeichen, sondern 
sucht in den Geist des ganzen Kartenwerks hineinzudringen. Sie wird selbst absonder 
lichen Auffassungen, die nicht in den ausgetretenen Bahnen des Alltags wandeln, gerecht. 
Das Ganze muß als solches erfaßt werden. Bei einem Atlas, sei er Hand- oder Scliul- 
atlas, darf die Kritik nicht an den einzelnen Kartenblättern hängen bleiben, sondern 
muß in die Seele des Ganzen hineindringen, aber auch einen Standpunkt über dem 
Ganzen gewinnen, um frei und vorurteilsfrei alles überschauen zu können und dem 
entsprechend das Urteil zu fällen. Bei einem neuen Atlas insonderheit wird der metho 
dische Fort- und Rückschritt ein besonderes Kriterium bilden, das unter Umständen 
wichtiger sein kann als das bloße Kartenblatt. 
Nichts ist leichter als eine Karte zu tadeln. Das ist kein Kunststück. Viel schwie 
riger ist das Bessern und Weiterbauen. Da versagen leider selbst gute Kartenkritiker. 
Ein gutes Stück „positiver Kritik“ hat E. Hammer mit seinen Kartenkritiken in 
Petermanns Geographischen Mitteilungen und im Geographischen Jahrbuch ge 
leistet. Diese Seite der Kritik hat er bewußt gepflegt, wie er selbst versichert. 3 Sein 
großer Vorgänger hierin war E.v.Sydow, dessen Berichte über „den kartographischen 
Standpunkt Europas mit besonderer Rücksicht der topographischen Spezialarbeiten“ 
in den Jahrgängen 1857—1872 von Petermanns Geographischen Mitteilungen noch 
auf Dezennien hinaus Quellen reicher kartographischer Anregung und Belehrung 
sein werden. 
In jeder Karte gibt es Fehler, die außerhalb jeder Kritik liegen, weil sie kritisch 
kaum oder überhaupt nicht erfaßt werden können. Es kommt vor, daß offizielle Karten, 
1 Moraviae nova et post omnes priores accuratissima delineatio; auctore J. A. Comenio. 
Xoviter édita, a Nicolao Johannide Piscatore. Anno Domini 1645. — Vgl. Comenius als 
Kartograph seines Vaterlandes. Nach der böhmischen Abhandlung von Josef Smaha, mit einem 
Neudruck der Karte de Comenius, deutsch herausgegeben von Karl Bornemann, Comenius- 
studien, H. 5. Znaim 1892. 
2 Carusso: Importance de la cartographie officielle. Genf 1886. 
a E. Hammer in P. M. 1901. LB. 606, S. 149.
	        
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