Das Tasten und Suchen nach einer Geländedarstellung im Mittelalter.
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Abänderung, wie auch die Wellenform und schließlich die Backzahnform. Die Formen
ineinander zu verflechten oder zu verzopfen, ergaben gut verwendbare Spielarten.
Die Bogenformen wurden in der Hauptsache übereinander geschichtet, so daß
jede folgende Reihe in den Kerben der vorhergehenden Reihe saß, sie verminderten
sich nach oben hin, bis zuletzt eine einzelne Bogenform den Abschluß bildete. Viel
fach werden sie farbig ausgemalt, und jeder Bogen erhält zudem bäum- und blatt
rippenähnliche Einzeichnungen. Die auf vier Jahrhunderte verteilten Abschriften
der Beatuskarte geben treffliche Beispiele für diese Bergzeichnungen. 1 Waren
erst derartige Etagenberge geschaffen, so war es nicht schwer, die ganze Fläche des
Berges mit Deckfarben auszumalen, so daß die ursprünglichen Ornamente innerhalb
der Zeichnung verloren gingen. Die ganze Bergform wurde nochmals mit einem
dicken Strich parallel zur Umrißlinie umrahmt. Zuletzt ging der Sinn für den eigent
lichen Aufbau des Bergbildes verloren, und man zeichnete von vornherein mit mehr
oder minder flach ausgezogenen Bögen den Aufriß und wiederholte innerhalb des
Bildes mit ein oder mehreren parallelen Linien die Gestalt des Berges. Die Aufriß
fläche wurde schematisiert. Doch auch unregelmäßige Linien, die vornehmlich in
der Richtung des Gefälles verlaufen, bedecken das Innere; zuweilen werden sie so
geführt, daß die Berge ganz realistisch wirken und Zeichnungen von Einzelbergen
im 16. und 17. Jahrhundert nichts nachgeben. 1 2
Baute man die Formen nicht übereinander, sondern nebeneinander auf, so
bevorzugte man mehr die Zacken- als die Bogenform, die bald längere bald kürzere
Reihen bilden. Eine geringe Zutat war es, die Reihen unten mit einem Strich ab
zugrenzen, damit sie etwas Streifen- oder Bandartiges erhalten. Farben und Schatten
tragen ein Übriges bei, um die Bergbilder in die Augen springen zu lassen. Edrisi
hatte auf einer Tabula rotunda vom Jahre 1154 lange Zahnreihen abgebildet, die
profilartig wirken, wie die Gebirgszüge auf der Peutinger Tafel, wo sie auch ihre
harten Formen wie auf der Mosaikkarte von Madeba verloren haben. Einfache Zahn
reihen entwarfen die Zeichner der Beatuskarte von St. Sever, der Beatuskarte von
Osma, der Palästinakarte des heiligen Hieronymus (um 1150), der Weltkarte des
Heinrich von Mainz u. a. m.
Die Reihenform wurde modifiziert und die einzelnen Formenelemente ineinander
geschoben, daß sie wie aufeinanderliegende Schuppen oder wie ein Zopf oder ein Tau
aussehen. Ein weiteres Ergebnis dieser Verzopfung war die Wellenlinie. Das Wellen
ornament bewegt sich in ziemlich regelmäßigen Linien; Abweichungen kommen vor,
wenn auch selten, sowohl in der Größe der Wellenköpfe wie in der Vielgliedrigkeit
des Wellenzuges. Die Streifen, die oben mit der Wellenlinie und unten mit der ab
schließenden geraden Grundlinie versehen waren, schmückte man stilvoll aus, indem
innerhalb des Streifens die Wellenlinienkontur wiederholt oder die Wellentäler mit
kleinen Zacken oder Bögen verschönt wurden. Ob durch dieses Zierat die Waldung
angedeutet werden soll, läßt sich nicht sicher ermitteln. Die an- und ineinander
gereihten Berge erinnern an perspektivische Bilder der spätem Zeit, wie der Kaukasus
1 Ich erachte es hier für nebensächlich, jedes Auftreten irgendeiner Form mit einem Karten
beispiel zu belegen, und verweise deshalb auf J. Rogers „Bergzeichnung“ und K. Millers „Älteste
Weltkarten“, hauptsächlich Teil II. Nur wo es mir nötig erscheint, führe ich Beispiele an.
2 Z. B. die Einzelberge auf einem Weltbild in Turin aus dem 12. Jahrhundert (Lelewels Atlas,
T. 9) oder der Einzelberg im S der Weltkarte in einer Sallusthandschrift aus dem 15. Jahrh, in Genf
(Lelewels Atlas, T. 35).