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Die Landkarte und ihr Gelände.
Zwischen dem Typ der Karte von Bourcet und dem von Roussel, insofern die
Schraffe wie bei Bourcet behandelt wird, die Bergform mehr wie bei Roussel, steht
eine Karte, von Laienhänden gefertigt, die heute noch unsere größte Bewunderung-
erregt. Es ist die bereits erwähnte Karte Atlas Tyrolensis 1774 von den beiden
Tiroler Bauern Anich und Hüb er aufgenommen und gezeichnet; die 20 Blatt um
fassende Karte hat den Maßstab von 1 : 108 800. 1 Die schräge Beleuchtung ist konse
quenter als bei Bourcet durchgeführt. Unstreitig ist sie eine der schönsten Karten
in perspektivischer Wiedergabe, von der behauptet wird, daß sie „mathematische Pro
jektion und perspektivische Darstellung in genialer Weise miteinander vereinigt.“ 1 2 Es
ist erstaunlich, was mit den damaligen Mitteln alles erreicht wurde. Hüber war für die
Terraindarstellung offenbar der Begabtere, was sich auf der herrlichen Handzeichnung
von Südtirol in 9 Blättern (ca. 1 : 102000) aus dem Jahre 1770 erweist. 3 Übrigens
ist „diese unter allen Tiroler Karten die erste, bei der das Streben obwaltet hat, die
einzelnen Terrainpartien möglichst der Natur nachzubilden.“ 4 Anich arbeitete bei
der Geländedarstellung mehr in den althergebrachten Zeichen, während der Hüber -
schen Zeichnung eine herbe, scharfe Charakteristik eigen ist ; beide Unterschiede
lassen sich auf der 20. Blattkarte zwischen Nord- und Südtirol noch erkennen, sind
aber durch die Kupferstecher Mansfeld gemildert und abgeschwächt worden. Wie
die Arbeiten von Anich und Hüber schon seinerzeit geschätzt wurden, zeigt die auf
1:140808 reduzierte Carte du Tyrol, d’après Anich et Hueber, 6 Bl., Paris 1801.
246. Die Schattenschral'fe. Von der Talschrafic zum Wasserscheidcgebirge. Der
Schattenstrich, die Schraffe, spielt bei den Karten in Halbperspektive die wich
tigste Rolle. Er ist der Bergzeichnung in Aufrißform entlehnt worden, wo er nicht
von gleicher Wichtigkeit ist, denn der Vertikalschnitt ist auch ohne Schraffe, die
hier mehr eine schmückende Begleiterscheinung als ein Wesensteil ist, verständlich.
Unabhängig davon hat sich auf Karten eine andere Schraffenart entwickelt. Auf
S. 368 sprach ich von der eigenartigen Schraffierung der Flußuferlinien. Das Un
praktische und Unschöne der Flußuferschraffur mochte man beizeiten empfunden
haben, hat sie ja auch nicht viel Nachahmung gefunden; man löste die Schraffur von
der Uferlinie los und setzte sie in gewisser Entfernung zum Flußlauf. Es entstehen
infolgedessen allerhand langgestreckte Talformen. Die „Flußuferschraffur“ wird zur
„Talschraffur“. Auf Höhen, die den Fluß begleiten, wird keine Rücksicht genommen.
Das ist das Eigentümliche dieser und bis jetzt, soweit ich die Literatur überblicke,
noch nicht gewürdigten Eigentümlichkeit der T a 1 s c h r a f f u r. Sie wurde auch nicht
anders empfunden und geübt, werden doch Berge direkt in sie hinein gezeichnet, wie
1 Vgl. „Tyrolis sub felici regimine Mariae Theresiae Rom. Imper. Aug.“ Chorographice Delineata
a Petro Anich et Blasio Hueber Colonis. . . aeri incisa v. J. E. Mansfeld, Wien 1774. [U.-Bi. Gött.]
2 J. Röger: Die Geländedartsellung auf Karten. Eine entwicklungsgeschichtliche Studie.
München 1908, S. 21.— Vgl. auch die Wiedergabe der Ötztaler Alpen nach Peter Anich 1774 in E. Ober
hummers Abhandlung „Die Entstehung der Alpenkarten“ in Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1901, S. 42.
3 Von den 9 Blättern ist ein Blatt verloren gegangen, die übrigen 8 befinden sich im k. k. Statt
haltereiarchiv zu Innsbruck.
4 Heinr. Hartl: Die Aufnahme von Tirol durch Peter Anich und Blasius Hueber, mit einem
Anhang: Beiträge zur Kartographie von Tirol. Mitt. d. k. k. militärgeogr. Instituts. Wien 1885, S. 137.
— Hartl bringt auf Beilage 10 eine photolithographische Reproduktion eines Stückes der Hueber sehen
Zeichnung; die darüber gelegte Oleate zeigt denselben Terrainabschnitt aus der Spezialkarte der öster
reichisch-ungarischen Monarchie in dem Maßstab der Zeichnung verkleinert.