Die historische Methode in der Kartographie.
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sie papieren sich, bzw. ihre Werke mit einer Anzahl abgegriffener Zitate berühmter
Männer ihres Faches. A. v. Humboldt, K. Ritter usw. werden fleißig zitiert, aber
umso unfleißiger gelesen. Bedauerlich ist es, daß viele versäumen, sich in den Werde
gang ihrer Wissenschaft zu vertiefen, und sie glauben Neuentdeckungen zu machen
und wissen nicht, daß ältere Gedankenkomplexe bereits bessern Spuren nachgingen.
Sein wichtiges Kapitel über die deutschen Landmessungen leitete W. Jordan
folgenderweise ein: ,,Zum richtigen Verständnis unserer Landmessungen, zur unpartei
ischen Würdigung ihrer Vorzüge und auch ihrer Mängel ist die geschichtliche Forschung
von großer Wichtigkeit. Der rein technisch-mathematische Maßstab versagt oft bei
geodätischen Fragen; man muß studieren, auf welchem Wege ist die Sache so geworden,
wie sie heute ist.“ 1 Viele geographische und kartographische Untersuchungen und
Lehrbücher, auch solche der Topographie, hätten sicherlich gewonnen, wenn sie die
historische Seite etwas mehr gepflegt hätten. 1 2
Die kartographisch historische Forschung bekundet aufs unzweideutigste das
Selbständige einer Kartenwissenschaft gegenüber der praktischen Betätigung der Karto
graphie (im üblichen Sinne). Sie hat die gleichen Schwierigkeiten zu überwinden wie
die allgemeine historische Forschung, die in der Hauptsache der Entwicklung der
Staatswesen, ihrer Menschen und Einrichtungen gilt; indes reicht jene über diese
hinaus, da sie nicht bloß die maßgebenden Kulturzustände berücksichtigt, sondern
vorzugsweise die Art und Weise der Darstellung und die jeweilige nutzbar gemachten
Darstellungsmittel festzuhalten sucht.
In die historische Kritik gehören zuletzt auch die Streiflichter, die aus den Unter
suchungen der Wechselbeziehungen einzelner auf verschiedenen Gebieten angewandter
Forschungsmethoden auf die Kartographie entfallen. 3 Ferner darf man nicht in den
Irrtum verfallen, historische Kartographie und Geschichtskarte bzw. Geschichtsatlas
als eins zu achten. 4 Letztere sind das in der Gegenwart oder zu einer andern Zeit rekon
struierte Kartenbild der Staatswesen oder sonstiger kultureller Erscheinungen einer
ältern Zeit. Dagegen hat es die historische Kartographie mit den Kartenoriginalen und
diesbezüglichen Beschreibungen und Erörterungen der verschiedenen Epochen des Ent
wicklungsganges des Kartenbildes zu tun, also mit dem Urmaterial, wie es uns über
liefert ist. Dieses wird untersucht und im Zusammenhänge der Einzel- wie Gesamt
wissenschaft (Kartographie und Geographie) erklärt.
Im großenganzen lassen sich die Kriterien historischer Analyse und Synthese
auf die Karte anwenden. Wie die Geschichte Bewegung ist, aber keine gleichmäßige,
ist auch die kartographische Genesis keine gleichmäßig fortschreitende, sondern ge
bunden an die sprungweise Entdeckung neuer Länder, an die sprungweise Erfindung
und Einführung technischer Hilfsmittel. Stagnationen, ja rückläufige Bewegungen
sind in der Geschichte der Karte keine Seltenheiten. Nicht selten hinkt das Weltbild
1 W. Jordan: Handbuch, der Vermessungskunde. II. Achte ei*weiterte Auflage von O. Eggert,
Stuttgart 1914, S. 921.
2 So hätte Br. Schulze in seinem sonst ganz guten Buche „Das militärische Aufnehmen“,
Leipzig und Berlin 1903, gerade der historischen Entwicklung etwas gerechter werden können und
nicht die Errungenschaften von O. Schreiber, die doch aus dem ganzen Werke verstohlen heraus
strahlen, tot schweigen sollen.
3 Augustin Krämer: Wechselbeziehungen ethnographischer und geograph. Forschung, nebst
einigen Bemerkungen zur Kartographie der Südsee. Globus LXXXIV. 1903, S. 362—364.
4 Dieser merkwürdigen Auffassung begegenen wir unter anderm bei H. Beschorner in
O. Kendes Handbuch der geographischen Wissenschaft. I. Berlin 1914, S. 367—369.