Die Lehrjahre in den neuen Geländedarstellungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. 461
In Preußen, England, Frankreich und Österreich fand die Lehmannsche Art
der Geländedarstellung auf offiziellen Karten günstigen Boden, der insonderheit
durch die Schrift von C. A. Becker: Das Aufnehmen mit dem Meßtisch im Sinne
der Lehmannschen Lehrart, Dresden 1829, wirkungsvoll befruchtet wurde. 1 In
Sachsen, wo die wissenschaftliche Schraffe geschaffen worden war, fand sie die erste
Pflege und Anwendung in einer großen offiziellen Karte, und zwar auf der in den
Jahren 1780—1825 entstandenen Ingenieurkarte in 1 : 12000, deren jedes Blatt eine
Quadratmeile umfaßt, daher der Name „Meilen“ (-blätter). Die Geländeformen unter
lagen nicht mehr der Willkür des Topographen, sondern waren nun einem zwangs
läufigen und zweckmäßigen System unterworfen. Damit war die strenge senkrechte
Beleuchtung in das Kartenbild eingesetzt und durch die dichtere oder losere Schraffen-
lage wurde der Böschungsgrad des Geländes bestimmt. Auf Grundlage der „Meilen“,
die in drei handgezeichneten Exemplaren hergestellt worden waren 1 2 , wurde ein auf
den Maßstab 1:57600 zurückgeführter Atlas während der Jahre 1819—1860 her
gestellt, der Topographische Atlas des Königreichs Sachsen 3 , der, wie bereits hervor
gehoben wurde, als Oberreitscher Atlas oder Oberreitsche Karte bekannter ist, be
nannt nach dem Herausgeber, dem Generalmajor und Direktor der Militärplan-
kammer Jakob Andreas Herrmann Oberreit (f 1856). In dem Atlas haben wir bis
auf den heutigen Tag eine der besten kartographischen Arbeiten nach Lehmannscher
Manier zu erblicken. Ziemlich zu gleicher Zeit erschien in handlicherm Format im
Maßstabe 1:157 281 4 nach gleichen Prinzipien wie der Oberreitsche Atlas und den
Quellen der Militär- und Finanzkammer bearbeitet und fast von ähnlicher Schön
heit und Akkuratesse die Topographisch-orographische Spezialkarte des Königreichs
Sachsen von dem sächsischen Ingenieur-Oberleutnant Otto Andrée,' Dresden 1851
(s. S. 450).
Auf der Karte des Herzogtums Salzburg 5 , mit der Österreich 1810 anfing,
das Lehmannsche Schraffensystem auf der ersten topographischen (Spezial-)Karte
Österreichs in 1 : 144000 anzuwenden, ist das Hügelland gut und wirkungsvoll ge
zeichnet, doch beim Hochgebirge hat die Zeichnung in der Grundrißform der Ge-
birgsstöcke und -ketten etwas Blatt- und Flechtenartiges. Ähnlich sind andere vom
k. k. österreichischen Generalquartiermeisterstabe herausgegebene Karten. In spätem
1 Damit batte Becker eigentlich nur eine verbesserte Neuauflage der Lehmannschen Schrift
„Anleitung z. vorteilhaften u. zweckmäßigen Gebrauche des Meßtisches“, Dresden 1812, geliefert.
Desgl. war er mit G. H. Fischer, Prot. a. d. kgl. sächs. Ritterakademie, beteiligt an der sehr ver
besserten und vermehrten 4. Aufl. des Lehmannschen Werkes „Die Lehre der Situation-Zeichnung
oder Anweisung zum richtigen Erkennen und genauen Abbilden der Erd-Oberfläche, in Charten und
Plänen“, Dresden und Leipzig 1828.
2 Das eine Exemplar, das Handexemplar des Königs, war 1813 nach Berlin in die Plankammer
gewandert und die beiden andern sind ein wertvoller Schatz in den Bibliotheken der sächsischen Landes
aufnahme und des Bergamtes zu Freiberg. Vgl. Beschorner: Geschichte der sächs. Kartographie
im Grundriß. Leipzig 1907, S. 19, 20.
3 Der Atlas erschien in 22 Sektionen, 70 x 79 cm. Es war ein außerordentliches verdienstliches
Unternehmen, daß der sächsische Verein f. Volkskunde einen Neudruck der Karte veranlaßte (s.
oben S. 311 Anm. 2).
4 Das eigenartige Verjüngungsverhältnis erklärt sich daher, daß eine geographische Meile
(= 13106,787 Dresdener Ellen = 3806,915 Toisen = 1970,08 Rheinld. Ruthen) auf 2 Dresdener Zoll
reduziert wurde, was den Maßstab 1: 157281 ergab.
5 Von dem k. k. österreichischen Generalquartiermeisterstabe 1806—1807 aufgenommen,
gedruckt 1810.