Die Meisterjahre in der Geländedarstellung von der Mitte des 19. Jahrh. bis zur Gegenwart. 473
ein so naturwahres Bild der imposanten Alpennatur, daß wir sie unbedingt als die
vorzüglichste Kajte der Welt ansehen.“ 1 Mit dieser Lob- und Preissagung war Peter
mann zu weit gegangen. Sicher ist, daß sich in der Dufourkarte nichts Abgehacktes,
Hölzernes und Unklares in der Geländedarstellung, wie es bis dabin noch auf andern
renommierten topographischen Kartenwerken anzutreffen war, bemerkbar macht,
daß auf den ersten Anblick alle Gebirgsteile harmonisch, auch die Juraformen — diese
als Mittelgebirgsformen in Lehmannscher Schraffenmanier! — ineinandergreifen
und ein wohltuendes, charakteristisches und effektvolles Bild erzeugen. Mit einem
Wort: Die Karte ist eine reife Arbeit für ihre Zeit. Im einzelnen wird man wie fast
an allen Kartenwerken mäkeln, aber auch im ganzen hat die Dufourkarte ihre Mängel,
die einmal in dem ungenügenden Aufnahmematerial liegen, das für mehrere Kan
tone verwendet worden ist 1 2 , und ein andermal auf das Schuldkonto der schrägen
Beleuchtung zu buchen sind. Darüber später mehr.
Bevor Dufour sich für die Geländedarstellung in schräger Beleuchtung ent
schied, ließ er, wie wir aus der Geschichte der Karte wissen, 1841—1844 durch die
Ingenieure Wolfsberger* Betemps und Stryenski vier Blätter in 1 : 50000 aufnehmen
und mit Schraffen und schräger Beleuchtung zeichnen. Von diesen vier Modell
blättern 3 urteilt E. Oberhummer, daß sie ,,zu dem Schönsten gehören, was in topo
graphischer Zeichnung geleistet worden ist“, und sie „sind für die künstlerische Ge
staltung der Dufourkarte maßgebend geworden und ihnen verdankt dieselbe ihre
hohe Bedeutung in der Entwicklung moderner Geländedarstellung“. 4 Abgesehen
davon, daß Dufour in bereits vorhandenen großmaßstabigen Kantonkarten 5 manch
gutes Vorbild vorfand, dürfte doch auf ihn die ältere Karte der Schweiz von Meyer-
Weiß, auf alle Fälle die blendende La carte topographique de l’ile de Corse, die
1770—1791 vom französischen Ingenieurgeographenkorps aufgenommen, aber 1824
erst in vier Blatt in 1 : 100000 veröffentlicht wurde, von großem Einfluß gewesen
sein. Wir wissen, daß Dufour diese Karte sehr wohl kannte. Schraffen und Be
leuchtung sind auf der Korsikakarte in ganz ähnlicher Weise wie bei Dufour behandelt
und bringen beide einen ähnlichen plastischen Effekt hervor. Die Gratzeichnung,
die bei Dufour besser gelungen ist, erinnert mehr an J. R. S. Raymonds Karte der
Alpen aus dem Jahre 1820. 6
Durch die scharfe Kontrastierung von Licht- und Schattenseiten leitete Du
four den modernen Typus der Schweizer Karten ein, der vollwertig uns erst in den
Karten in „Schweizer Manier“ entgegentritt. Die Dufoursche Manier ist eine Ge
ländedarstellung, die sich bequem auf Karten kleinen Maßstabs übertragen läßt.
1 Aug. Petermann in dem anonym erschienenen Artikel „Die Schweiz“. P. M. 1864, S. 438.
2 H. Siegfried: Geograph, u. cosmograph- Karten u. Apparate. Bericht. Internat. Welt-
ausstell. 1878 in Paris. Zürich 1879, S. 13. — Vgl. ferner F. Becker: Die schweizerische Kartographie
i. J. 1914. Wesen u. Aufgaben einer Landesaufnahme. Frauenfeld 1915, S. 22 ff.
3 Hauptsächlich waren es die zwei von J. Ch. Wolf sb er ge r gezeichneten Blätter, die als Muster
bilder für die Schweizer Kartographie gelten.
4 E. Oberhumm'er i. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1904, S. 23.
5 Vgl. Anm. 1, S. 472, Geschichte der Dufourkarte, S. 167 — 196.
6 Carte topographique militaire des Alpes comprenant le Piémont, la Savoye, le Comté de Nice,
le Vallais, le Duché de Gênes, le Milanois, et partie des états limitrophes. 12 Bl. Paris 1820. Davon
erschien noch 1860 eine Neuauflage mit vervollständigter Straßenangabe.