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Die wissenschaftlichen Grundlagen der Geländedarstellung.
1 297. Das Lehmannsche System und seine wissenschaftliche Voraussetzung.
Der Schraffendarstellung ein brauchbares und wissenschaftliches Lehrgebäude ge
schaffen zu haben, ist das unvergängliche Verdienst des sächsischen Majors Johann
Georg Lehmann (1765—1811). Sein berühmtes Werk „Darstellung einer neuen
Theorie der Bezeichnung der schiefen Flächen im Grundriß oder der Situations-
Zeichnung der Berge“ erschien mit drei Tafeln ausgestattet 1799 in Leipzig, nachdem
das Manuskript dazu dem Verleger bereits im August 1796 überlassen wurde, da es
zur Ostermesse 1797 herauskommen sollte. Erweitert und verbessert erschien Leh
manns Terrainlehre ein Jahr nach seinem Tode, 1812 „Anweisung zum richtigen
Erkennen und genauen Abbilden der Erdoberfläche, in topographischen Karten und
Situations-Planen.“ 1 G. A. Fischer hatte die Ausgabe besorgt. Er gemeinsam mit
K. A. Becker haben sich der spätem Auflagen angenommen, unter denen die vierte
vom Jahre 1828 stark verbessert und vermehrt unter dem Titel erschien: „Die Lehre
der Situations-Zeichnung oder Anweisung zum richtigen Erkennen und genauen Ab-
bilden der Erd-Oberfläche in Charten und Planen.“ 1 2
Die Literatur über Lehmann, d. h. über seine Theorie, ist zu einem ansehnlichen
Berg angeschwollen. Noch heute wird er bei jeder möglichen und unmöglichen
Gelegenheit herangezogen, ohne daß man sich die Mühe gebe, auf seine Originalbe
richte zurückzugehen; und doch muß man sie studieren, wenn man Lehmann richtig
verstehen und einschätzen will.
Lehmann war ein glänzender Topograph, wie es nur wenige gegeben hat, und ein
feiner und scharfer Beobachter. Sein ganzes Wirken und Streben wurde von dem
Grundsatz geleitet, die Natur wahr darzustellen. Als ein erster beschäftigte er sich
mit der Entstehungsgeschichte der Berge (s. S. 212). Durch eisernen Fleiß und be
wundernswerte Energie war er vom Müllerknappen zum Major und Oberaufseher der
königlichen Plankammer in Dresden emporgestiegen; unentwegt ging er trotz vieler
Gegner seinem Ziel entgegen, ein möglichst naturwahres Bild des Gebirgsaufbaus
in der Karte wiederzugeben. Die Gebirge bildete er in Modellen nach, durchschnitt
sie mit Horizontalen, setzte die Striche der Situationszeichnung, wie die Tropfen auf
schiefer Fläche herabrinnen, nach dem Gesetz der Schwere, senkrecht an jene an,
und gab ihnen dadurch sichere Lage. Er schuf, wie bereits G. A. Fischer ausführte,
die Basis zu einem haltbaren Bau, indem er alles Willkürliche verschmähte und so
die Manier zur Wissenschaft veredelte.
An der Hand der Lehmannschen Ausführungen und Abbildungen und der
Fischerschen Erläuterungen wollen wir uns zunächst einen Einblick in den Bau des
Systems verschaffen. Lehmann geht von der Überzeugung aus, daß in der Topo
graphie lediglich eine senkrechte Beleuchtung der Erdoberfläche angenommen werden
kann; denn nur bei der vertikalen Beleuchtung läßt sich die Größe des Neigungs
winkels der schiefen Fläche aus der Stärke der Beleuchtung ermessen. An einer
Abbildung (Bild 3) weist er nach, daß die Stärke der senkrechten Beleuchtung, also
1 Mit sieben Kupfertafeln. — Als Anhang oder 2. Teil erscheint: Anleitung zum vorteilhaften
und zweckmäßigen Gebrauche des Meßtisches, aus einer Reihe praktischer Erfahrungen hergeleitet
u. entworfen von J. G. Lehmann. Herausgegeben u. m. einigen erläuternden Anmerk, versehen
von G. Aug. Fischer. Mit 4 Kupfertafeln. Dresden 1812.
2 Herausgegeben u. m. Erläuterungen versehen von K. A. Becker (kgl. sächs. Major) u. G. A.
Fischer (Professor an d. kgl. sächs. Ritterakademie). 2 Teile. Mit 25 Kupfertafeln. 4. sehr verbesserte
u. vermehrte Aufl. Dresden u. Leipzig 1828. — Dazu besonders: Pläne zur 4. Aufl. der Lehre der Situa
tionszeichnung von J. G. Lehmann. 25 Blätter. Dresden u. Leipzig 1831.