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Die Kartographie als Wissenschaft.
die Geschichte der Kartographie in ihren hauptsächlichsten Episoden und Leistungen
vor unserm geistigen Auge vorüberziehen, müssen wir erkennen, daß doch innerhalb
einer winzig kleinen Zeitspanne in der dokumentierten Geschichte der Menschheit eine
Abbildung der Erde gelungen ist, mit der sich irgendwelche Erzeugnisse des Altertums
nicht vergleichen lassen.
12. Das historisch vergleichende Kartenstudium. Unter den Mitteln und Wegen
der historischen Methode hat der Vergleich eine so hohe Bedeutung, daß es sich lohnt,
etwas länger bei ihm zu verweilen. Mit dem historischen Vergleich ist nicht das ver
gleichende Kartenstudium zu verwechseln, das die geographische Beobachtung er
gänzen will, wobei es sich in der Hauptsache um eine Methode handelt, die wir die
,,morphologische“ bezeichnen (s. § 35) Die historische Methode will kurz gesagt das
Alte mit dem Neuen vergleichen oder umgekehrt. Sie ist älter als jene morphologische,
die kaum über 0. Peschei hinausgeht. Schon bei Philipp Clüver (1580—1623)
finden wir die Bemerkung: ,,Auch alle antiken Autoren zusammengenommen können
nichts nützen und bieten nur reine Rätsel, wenn man nicht zuvor dem alten Tat
bestand den gegenwärtigen gegenüberstellt und den einen durch den andern erläutert.“ 1
Etwa ein Jahrhundert später lesen wir bei G. Delisle (1675—1726): „II est du devoir
d’un Geographe de faire le parallele de l’ancienne Geographie avec la nouvelle“, oder
„il ne faut pas esperer que sans une connaissance raisonnable de l’etat present du Monde,
ou puisse faire le rapport de l’ancienne Geographie avec la nouvelle.“ 1 2 Diese historische
Methode der Kartographie hat sich jedoch ganz besonders erst im 19. Jahrhundert
ausgebildet und wurde zunächst durch M. F. de Santarem, E. F. Jomard und
J. Lelewel praktisch erhärtet.
Das Betrachten des vielseitigen im Laufe der Jahrhunderte aufgespeicherten
Kartenmaterials führt ganz spontan zu der ebenso anschaulichen wie belehrenden
Methode der Vergleichung. Entweder faßt sie die Karten einer gewissen Zeitperiode
ins Auge oder die Entwicklung einer bestimmten Kartengruppe, bzw. Kartenart oder
eines bestimmten Kartenobjektes im Laufe der Zeit. Nur vor einem Fehler dieser
Methode mag bei kartographischen Kritiken und Untersuchungen gewarnt werden,
nämlich den gegenwärtigen Zustand immer als den zu bezeichnen, der nicht über
troffen werden könnte. Die Superlative Bezeichnung und Schmückung für gegen
wärtige Erzeugnisse ist geradezu krankhaft geworden, wobei nur selten bedacht wird,
daß unsere Nachfolger den gegenwärtigen Leistungen gegenüber das gleiche Recht
der Kritik für sich in Anspruch nehmen dürfen und werden, zu dem gegenwärtig wir
uns berechtigt glauben.
Verfolgt man die Entdeckungsgeschichte irgendeines Landes an der Hand von
zeitgenössischen Karten, hat man zugleich einen hübschen Einblick in die Geschichte
der Kartographie und in das kartographische Können einer Zeitperiode. Es fehlt
nicht an Arbeiten nach dieser Richtung.
Amerika war bisher bei derartigen Untersuchungen am bevorzugtesten, was
uns nicht Wunder nimmt bei der Bedeutung, die die neue Welt in der Entdeckungs
geschichte einnimmt. Ihr reihen sich Afrika, Australien, einzelne Inseln und Küsten
gebiete an. „Kartographische Denkmäler zur Entdeckungsgeschichte von Amerika,
1 J. Partsch: Philipp Clüver, der Begründer der historischen Länderkunde. Wien 1891, S.24.
2 Chr. Sandler: Die Reformation der Kartographie um 1700. München und Berlin 1905, S. 17.