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Die wissenschaftlichen Grundlagen der Geländedarstellung.
als ein Jahrhundert währende Konfusion beider Begriffe, die unglückseligerweise
das Wort „Schraffe“ und das Ausdrucksmittel die ,,Linie“ oder den „Strich“ gemein
sam haben. Die Böschungsschraffe kann nur schwer durch ein anderes mathematisch
gleich- oder höherwertiges Gebilde ersetzt werden, wie wir später noch sehen werden,
dagegen die Schattenschraffe als Schattengebilde weit besser noch durch Schummerung
oder einen sonstigen Farbenton, der geeignet ist, Geländeseiten gegensätzlich zu
bezeichnen. Die Böschungsschraffe ist ein Formenelement, die Schattenschraffe
ein Farbenelement. Hätte man nur einigermaßen an all diese Wesensunterschiede
gedacht, würde es vielen wie Schuppen von den Augen gefallen sein, und manche
Kontroverse wegen der Berechtigung schiefer oder senkrechter Beleuchtung wäre
unterblieben.
In der Schattenschraffe, die schon auf mittelalterlichen Kartenbildern zu beob
achten ist, hatte sich ein malerisches Darstellungsmittel, hauptsächlich seit der Re-
naissance in die Karte eingenistet, dessen Lebensfähigkeit selbst keine Einbuße erlitt,
als Ende des 18. Jahrhunderts die Berge mit energischem Griff aus ihrer vertikalen
Projektion in die horizontale umgelegt wurden. Durch die Schattenschraffe wird
zunächst belichtete und unbelichtete Seite in Gegensatz gebracht. Je länger und
kräftiger sie gehalten wird, je mehr wird der Eindruck des Großen, des Hohen er
weckt. Somit geben ganz allgemein ausgedrückt die Schatten einen Anhalt, sich
eine Vorstellung von der Größe und Höhe der Geländeformen zu machen. Befindet
sich das Auge des Beschauers senkrecht über einem hohen Berge, ist dessen Höhe
nicht abzuschätzen. Allein der wechselnde Schatten gibt einen Fingerzeig, sich ein
ungefähres Bild von der Höhe zu machen. Würde der Berg keinen Schatten werfen,
käme seine Höhe absolut nicht zur Geltung, wie sich jeder aufmerksame Beobachter
im Flugzeuge schon bei geringem Höhen überzeugen kann. In dem ewigen Wechsel
des Schattens sucht die Schattenschraffe ein Augenblicksbild festzuhalten; leider
ist dieses nicht der Natur entnommen, weshalb der einseitig beleuchteten Karte
größtenteils etwas Gemachtes, Eingebildetes und Vorgetäuschtes anhaftet. Diese
Mängel werden etwas behoben, wenn die Karte auf Grundlage eines gut modellierten,
schräg beleuchteten Reliefs bearbeitet wird. Ist dies jedoch nicht mehrfach über
höht, geht der gewünschte Effekt in die Brüche; und der Schlagschatten ist eine
unangenehme Beigabe, da durch ihn (und teilweise durch den Eigenschatten) haupt
sächlich das Gelände verdunkelt, wird, das das wirtschaftlich wertvollste ist. In
der Erkenntnis dieser Tatsache erscheinen die meisten einseitig beleuchteten Karten
ohne Schlagschatten. 1 Wieder eine große Unwahrheit. Angedeutet sei hier, da es
später noch ausführlicher zu erörtern ist, daß ein Relief je nach' der Himmelsrichtung,
von der es beleuchtet ist, ganz verschiedendeutig ist.
313. Das Anschauungshedürfnis des menschlichen Geistes. Die Arten der Be
leuchtung. Die entschiedene Beliebtheit der schräg beleuchteten Karte beim großen
Publikum liegt in dem Anschauungsbedürfnis des menschlichen Geistes und in dessen
Unvermögen, einen Komplex verschiedener Vorstellungs-, bzw. Wahmehmungs-
ursachen mit einem Male zu überblicken und aufzunehmen. Darauf beruht, wie
ich gelegentlich schon durchblicken ließ, das Täuschungsprinzip sinnlicher Wahr
nehmungen, das in der schräg beleuchteten Karte zum Guten ausgenutzt ist, freilich
1 Unter den Karten, die Schlagschatten bringen, ist die Montblanc-Karte in 1:50000 von
Imfeld berühmt geworden, Paris 1896, von Leuzinger in 9 Farben reproduziert.