34
Die Kartographie als Wissenschaft.
zur historischen Forschung auch mit größter Vorsicht zu genießen, helfen sie immerhin
manche Anschauungen klären und vertiefen, wie Karten über die oben genannten
leicht veränderlichen Gebiete. Selbst Binnenseen bieten nach dieser Richtung hin
einen dankbaren Stoff der Untersuchung. Die Untersuchungen über ihre allmähliche
Verlandung sind noch nicht erschöpft. Eng verwandt mit diesen Untersuchungen
sind solche über die Darstellung des richtigen Laufes von Flüssen. Beispielsweise
sieht man auf den Etzlaubsehen Karten, und auf Karten, die nach deren Muster
gehalten, wie S. Münsters Karte von Deutschland, die Spree direkt in die Ostsee
münden; auf der ältesten Etzlaub sehen Karte vom Jahre 1492 ergießt sich sogar
noch die Havel in die Ostsee. Wohl aber gibt S. Münsters Rheinskizze zum ersten
Male die Rheingestalt einigermaßen richtig wieder. 1
Eigentümlicherweise liegt über den ursprünglichen Küstenumriß von Jütland
noch keine größere Untersuchung vor. Da ist es mit Island schon besser bestellt. Die
ersten annähernd richtigen Umrisse von Island und die ersten Versuche, die Küsten
Skandinaviens zu zeichnen gehen auf die Catalanen zurück. Schon im 14. Jahrhundert
verkehrten Schiffer aus Majorka und Barcelona in der Nordsee. Hamy versucht
nachzuweisen 1 2 , daß die Catalanen das nördliche Europa durch arabische, moghre-
binische Quellen kennen gelernt haben. Das scheint nicht zu stimmen, denn die mogh-
rebinische Kartenskizze der Bibliotheca Ambrosiana in Mailand, die Hamy mitteilt,
ist nichts anders wie eine Kopie italienischer Arbeit.
J. v. Zahns schönes Beispiel von der Kartographie eines bestimmten Rand
gebietes 3 steht nicht vereinzelt da. Solche Vergleiche, wie sie kartographisch noch
diffiziler von H. W T alser für den „Umkreis des Kantons Zürich seit der Mitte des
17. Jahrhunderts“ ausgeführt wurden, tragen zur Erhellung der Entwicklung des
historischen Landschaftsbildes wesentlich bei. Sie geben Aufschluß, ob die Verände
rungen der Erdoberfläche auf physische, bzw. natürliche oder menschliche, bzw.
künstliche Einflüsse zurückzuführen sind. Leichter als der Nachweis der Veränderung
einer großem Landschaft ist der eines einzelnen bedeutendem Ortes, der auf eine
längere historische Entwicklung zurückschaut. Von den Städten, wie Paris, London,
Leipzig, München, Wien, Rom, Athen u. v. a. m. besitzen wir ausgezeichnete historische
Atlanten, die das Bild der Entwicklung des Stadtplanes bringen. Mehr noch als
Atlanten liegen Abhandlungen über die Entwicklung des Stadtplanes vor, vielfach
veranlaßt durch geographische und kartographische Ausstellungen bei irgendwelchen
festlichen Gelegenheiten. 4 Daß der Stadtplan eine beachtenswertere Seite der Be
trachtung für den Geographen bietet als gewöhnlich angenommen wird, hat E. Ober
hummer schon vor längerer Zeit nachgewiesen. 5
1 Aug. Wolkenkauer: Sebastian Münsters handschriftliches Kollegienbuch aus den
Jahren 1515 — 1518 und seine Karten. Abh. d. K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen. Phil.-hist. Kl. Neue
Folge XI. Nr. 3. Berlin 1909, S. 65.
2 E. T. Hamy: Les origines de la Cartographie de l’Europe septentrionale. Extr. du Bull,
de geogr. hist, et scient. 1888, Nr. 6. Paris 1889. (Mit 7 Kartenskizzen.)
3 Jos. v. Zahn: Steiermark im Kartenbilde der Zeiten vom 2. Jahrh. bis 1600. Graz 1895.
4 So auch gelegentlich der ausgezeichneten kartographischen Ausstellung in der Deutschen
Bücherei während der Tagung des 20. Deutsch. Geographentages in Leipzig 1921. — Vgl. H. Rudolphi:
Die Entwicklung des Stadtplanes von Leipzig. In den „Beiträgen zur deutschen Kartographie“, hg.
von H. Praesent, Leipzig 1921, S. 13—31.
5 Eug. Oberhummer: Der Stadtplan, seine Entwicklung und seine geographische Bedeutung.
Verh. des 16. Deutsch. Geographentages in Nürnberg 1907. Berlin 1907, S. 66 — 101.