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Die wissenschaftlichen Grundlagen der Geländedarstellung.
zwischen den Höhenpunkten hindurch gezogen werden. Mögen diese Punkte noch
so dicht beieinander stehen, es bleiben noch Tausende von Möglichkeiten 1 , eine Linie
dazwischen zu ziehen, die scheinbar der mathematischen Wahrheit entspricht, in
Wirklichkeit aber von einem feinem Gefühl im Vergleiche mit der Natur als falsch
erkannt wird.“ 1 2 In dieser Richtung habe ich bereits mein Einvernehmen mit Aegerter
betont (S. 288). Die Kleinformen, die unter Umständen sehr charakteristisch für
eine Landschaft sind, können am besten nach der Natur entworfen werden. Die reine
Zimmerarbeit übergeht zu leicht die kleinen Furchen und Risse, die Vorsprünge und
Ecken, die kartographisch zunächst belanglos erscheinen, morphologisch jedoch von
großer Bedeutung sind.
355. Das topographische Unvermögen der Schichtlinie; ihre unnaturgemäße Dar
stellung. Das muß auch an dieser Stelle betont werden, daß es der Schichtlinie nicht
immer möglich ist, jeder Geländeform gerecht zu werden. Das Unvermögen liegt teils
in der Linie an sich und teils in der Linienführung begründet; denn es ist ausgeschlossen,
daß sie jähe Abstürze, scharfe Risse darzustellen vermag; und nur zu oft nehmen wir
wahr, daß einer harmonischen Linienführung zuliebe mehr auf die äußere schöne Form
als auf die innere herbe Wahrheit der Natur geachtet wurde. Zuweilen kommt es
vor, daß Isohypsen und auch Eormlinien zu schematisch gezogen sind, daß man mit
Recht bezweifelt, in ihnen eine Widerspiegelung der natürlichen Verhältnisse zu
erblicken; nichts mehr als eine rohe Wiedergabe der Massenerhebungen findet statt. 3
Gesellt sich dazu ein Höhenschichtenkolorit, erscheint eben die ganze Terraindar-
stellung als ein bequemes Mittel, ein großes Kartenblatt, zu füllen. Wir wollen damit
die Freude manchen Autoren an ihren Werken nicht vergällen. Leider versäumt aber
die Kritik im Anblick der gut reproduzierten Karte oder im Hinblick auf einen in der
Wissenschaft wohlklingenden Namen den richtigen Standpunkt einzunehmen. Ge
wöhnlich sind es eben nur „Gefühlsurteile“, wie E. Hammer ganz richtig sagt 4 , wenn
nicht gar voreingenommene und parteiisch gefärbte. Denn wir erfahren im allgemeinen
durch sie nichts über die Genauigkeit der Zeichnung, wohl aber über den mehr oder
minder „plastischen Eindruck“ der Geländedarstellung und allenfalls noch etwas
über die Lesbarkeit der Karte, über den innern Gehalt schweigt man sich völlig aus.
Kritik und bessere Kenntnis der geographischen Verhältnisse haben endlich
bewirkt, daß dem Isohypsenzug eine sicherere und naturgemäßere Führung als vor
Jahrzehnten gegeben wurde. Zieglers Wirken scheint nach dieser Richtung hin doch
nicht ganz fruchtlos gewesen zu sein (s. S. 214). Von Natur aus scheinen die Fran
zosen vorzugsweise begabt, den Schichtlinien einen besonders schönen Schwung zu
verleihen, allerdings oft bedenklich auf Kosten der Wahrheit. Die Linie artet nicht
selten, und das nicht bloß bei den Franzosen, sondern auch bei allen andern isohypsen
1 Hier hat Aegerter den Mund etwas voll genommen, wenn es auch Tatsache ist, daß zwei
verschiedene Zeichner zwischen gleichen Höhekoten Schichtlinien von erheblich voneinander ab
weichender Gestalt konstruieren können, worauf übrigens schon H. Barth in seiner „Theorie der
Bezeichnung in Verbindung mit Geognosie“, Stuttgart 1853, hingewiesen und auch an einem Beispiel
nachgewiesen hat.
2 L. Aegerter: Begleitworte zur Karte der Brentagruppe. Z. d. D. m Ö. A.-V. 1908, S 82.
3 z. B. K. Sapper: Karte von Westsalvator und v. Süd- und Westguatemala. — Karte der
Izalco-Vulkane. Beide Karten in P. M. 1904. Taf. 14 u. 15.
4 E. Hammer, a. a. O., S. 99.