Die historische Methode in der Kartographie.
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sah ich in der Bibliothek des Prinzen Ulrich von Schönburg-Waldenburg auf
Schloß Guteborn bei Buhland unter vier Wandkarten, die sich ebenso durch ihre
Seltenheit wie ihr Alter und wissenschaftliche Bedeutung auszeichnen. 1 Die drei
andern Karten haben Blaeu zum Verfasser und scheinen aus den Jahren 1620—1630
zu stammen. Sämtliche Karten sind in Kupfer gestochen, sie enthalten außer dem
vollständigen Gradnetz auch noch Kompaßrosen und Konipaßlinien. In bezug auf
die Darstellung der Küstengliederung und der einzelnen Erdräume sind die Karten
reich an Einzelheiten und geben den Stand der damaligen neuesten Eorschungen an.
Um den Absatz der Karten in den verschiedenen Ländern zu erhöhen, hatte man die
Ränder auf den Witschen Karten mit einer dreifachen ausführlichen Beschreibung
des Erdteils in lateinischer, französischer und niederländischer Sprache ausgestattet.
Auf der Weltkarte von de Wit erscheint die geographische Beschreibung der ganzen
Erde in niederländischer, französischer und englischer Sprache. Auch diese Karten
sind wie die Handkarten jener Zeit mit merkwürdigen und größtenteils naturgetreuen
Völkertypen und Trachtenbildern, Plänen und Stadtansichten geschmückt, die leeren
Stellen innerhalb der Kontinente mit charakteristischen Völkertypen und wilden Tieren
und innerhalb der Ozeane mit Handelsschiffen, kämpfenden Kriegsflotten und
Seeungeheuern. Die Blaeuschen und Witschen Karten haben nichts Gemeinsames
mit den viel verbreiteten Blaeuschen Atlanten, sie sind offenbar direkt als Wand
karten entworfen. Am interessantesten ist die Weltkarte; ihr ungenannter Zeichner
verfügt über ein umfassendes erdkundliches Wissen und eine ausgezeichnete kritische
Befähigung, was man an der Darstellung Amerikas, Australiens und Japans verfolgen
kann. Im 18. Jahrhundert hat man Wandkarten hergestellt, von denen man bestimmt
weiß, daß sie „zum Gebrauch des Aufhängens an den Stubenwänden gestochen sind“.
Man bezeichnete sie damals irrtümlicherweise auch mit dem Namen „Cabinets-Karten“,
worunter jedoch die großmaßstabigen Karten und Pläne einzelner Besitzungen zu
verstehen sind; sie waren durchgängig handschriftlich hergestellt und entsprechend
mit einer ungedruckten Beschreibung versehen. 1 2
Die neuere Entwicklung der Wandkarte setzt gegen Mitte des 19. Jahrhunderts
ein, wesentlich veranlaßt durch das Erscheinen von Herrn. Berghaus’ Chart of the
world 3 , die auch im neuen Jahrhundert noch Auflage auf Auflage erlebt. Diente
sie von Haus aus mehr wirtschaftlichen Zwecken, wurde sie gern auch im Unterricht
benutzt. Das Bedürfnis eines sich methodisch und praktisch vertiefenden Geographie
unterrichts nach gutem kartographischem Anschauungsmaterial ließ die Schul-
wandkarte in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstehen. E. v. Sydow
1 Nova totius terrarum orbis tabula. 150x200cm. Gedruckt Amsterdam by Frederick
de Wit, ca. 1660. — Nova et exacta Asiae geographica descriptio, auct. G. J. Blaeu. Stecher und
Drucker der ältere ClaesJanszoonVisscher. — Nova Africae geographica et hydrographica de
scriptio, auct. G. J. Blaeu. Stecher: T. van den Ende sculpsit; Drucker: CI. J. Visscher. —
Nova totius Americae sive Novi Orbis tabula, auct. G. J. Blaeu. — Die drei Erdteilkarten haben je
eine Größe von 125 x 175 cm. Die Amerikakarte ist. gewiß sehr selten, sie fehlt, wie aus Philipps
„List of Maps of America“ 1901 hervorgeht, in der Library of Congreß, Washington. — In der karto
graphischen Literatur sind sämtliche 4 Karten bisher nicht beschrieben, auch in dem maßgebenden
Kartenverzeichnis der reichsten Kartensammlung der Welt, dem Catalogue of the printed maps
in the British Museiun, sind sie nicht erwähnt.
2 J. G. Krünitz; Encyklopädie, a. a. O., S. 87, Anm. — J. Ch. Pfennig: Erdbeschreibung.
Berlin u. Stettin 1779, S. 153.
3 1863 zum ersten Male veröffentlicht. Die Situationszeichnung war eine der letzten Arbeiten
des greisen v. Stülpnagel.