Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

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Die Kartographie als Wissenschaft. 
steckt als einer gewissen Art Abbildung der Erdoberfläche eine gewaltige Anschauungs 
kraft. Ist sie doch dem menschlichen Bedürfnis entsprungen, die Erdoberfläche zu 
überschauen, ja zu beherrschen, ohne jedesmal in natura beobachten zu müssen. 1 Ist 
es doch ein Haupterfordernis insonderheit der Landkarte, die Bodenformen der Natur 
so wiederzugeben, daß der Beschauer sofort bekannte Gegenden wiedererkennt oder 
sich mit Hilfe der Karte zu orientieren vermag. * 1 2 Im Hinblick auf die in Aussicht 
gestellte Herstellung eines physikalischen Atlas bei Perthes in Gotha sagte 1837 
Hermann Berghaus: „Kein Eindruck/haftet dauernder als derjenige, welcher un 
mittelbar auf unsere Sinne wirkt; so /auch graphische Darstellungen, die uns die 
Phänomene der physikalischen Geographie übersichtlich vor Augen legen. Sie bringen 
das erst gleichsam ins Leben, zur lebendigen Anschauung, was in der schriftlichen 
Darstellung oft als toter Buchstabe/verborgen liegt“. 3 Neuern pädagogischen Forde 
rungen gemäß soll das Buch weiter nichts als ein erklärender Text der Karte sein. 4 
Am anschaulichsten wirkt die Karte, wenn sie das, was sie vorstellen will, mit 
wenigen, aber um so wirkungsvollem Mitteln erreicht. Namentlich soll die Schul 
wandkarte soviel wie möglich von Ballast befreit sein, damit ihre Zeichen, ihr Bild 
sich ebenso leicht und ruhig wie klar und dauernd in dem Geist der Betrachtenden 
einprägen. Indessen darf man unter Berücksichtigung des pädagogischen, wissen 
schaftlichen und technischen Moments von der Karte nicht alles, zum mindesten nicht 
zu viel verlangen. Ihre pädagogische Hauptaufgabe besteht ebenfalls wie ihre wissen 
schaftliche zunächst darin, die ihrem Wesen gemäße Gruppierung der geographischen 
Objekte zu veranschaulichen, also die Lagenangabe dem Beschauer zu übermitteln. 
„Natürlich will und muß ja die Karte noch viel mehr geben als die Lage. Aber das ist 
eben bezeichnend für die große Bedeutung der geographischen Lage, daß die Karte allen 
andern Zwecken am besten gerecht wird, wenn sie die Lage gut wiedergibt.“ 5 
Alle möglichen Mittel werden versucht, die Karte in ihrer unterrichtlichen Wir 
kung zu unterstützen. Selbst vor dem Oktroyieren des unionistischen Prinzips auf 
Wand- und Handkarte, bzw. Atlaskarte hat man nicht zurückgeschreckt. 6 
Ist indes die Karte auch noch so ausgezeichnet ausgeführt, sie wird nimmermehr 
ein vollkommenes Bild einer Landschaft geben. 7 Daher wird es erklärlich, die Karte 
dienen soll“, ist das kein einziger markanter Fall, sondern eine in allerhand Melodien variierte Forderung 
fast aller Methodiken des geographischen Schulunterrichts, insbesondere in Deutschland, aber auch 
in Österreich-Ungarn, der Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, Norwegen, 
Italien, England, den Vereinigten Staaten, in Chile und selbst schon in Japan. 
1 E. Friedrich, a. a. 0„ S. 4. 
2 Br. Schulze: Das militär. Aufnehmen. Leipzig und Berlin 1903, S. 180. 
3 H. Berghaus: Allgemeine Länder- und Völkerkunde. Nebst einem Abriß der physikalischen 
Erdbeschreibung. I. Stuttgart 1837, S. VII. — Ähnliches sagt Coordes in der Vorrede zu dem Katalog 
über das Gesamtgebiet der geographischen Anschauungsmittel (Kassel 1888): „Das Wort genügt 
nicht; das Auge ist ein viel besserer Lehrmeister als das Ohr.“ 
4 Selbst diese Forderungen sind nicht neu. Wir finden sie verwirklicht schon 1778 (8. Aufl.) 
in der „Kurzen Erläuterung einer in Kupfer gestochenen Vorstellung des Erdbodens — zum Ge 
brauch der Realschule in Berlin.“ 
6 Fr. Ratzel: Die Lage im Mittelpunkt des geographischen Unterrichts. G. Z. 1900, S. 21. 
6 In der Schule müssen die Schüler allerhand Karten in die Hände bekommen, damit sie im 
spätem Leben nicht immer von einer Karte zur andern umlemen müssen. Nur an einerlei Karten 
die Jugend gewöhnen, heißt nichts anderes als die Denkfaulheit der Menschen groß züchten. Das 
schulkartographische unionistische Prinzip hat nur scheinbar Einiges für sich (auf den untersten 
.Unterrichtsstufen!), im übrigen ist es als falscher pädagogischer Standpunkt zu verwerfen. 
7 Diesen Gedanken hat Al. Geistbeck aufgegriffen, um ihn in verschiedenen Veröffentlichungen
	        
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