Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

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Die Kartographie als Wissenschaft. 
Neuerdings ist der Einführung in das Verständnis der Karte eine ungeahnte 
Hilfe in dem Fliegerbild entstanden. Die Fliegerbilder des Weltkriegs haben von 
den verschiedensten Gegenden Europas und des nahen Orients eine reiche Anzahl 
charakteristischer Landschaftstypen eingeheimst, sowohl in Schräg- wie Senkrecht 
aufnahmen. Sie bilden gleichsam das Bindeglied zwischen den sonst üblichen Aufriß 
bildern und der Karte. Der Geographie- und Kartenunterricht hat durch das Flieger 
bild ein großartiges Hilfsmittel erhalten, das in seiner Bedeutung allerdings auch nicht 
überschätzt werden darf. 1 Der Bedeutung des Fliegerbildes für die Karte werde ich 
noch eine Sonderuntersuchung widmen (s. § 127 ff.). 
25. Entstehung und Zweck der Karte. Wie jede Disziplip danach strebt, ihre 
Hauptresultate allgemein und übersichtlich zusammenzufassen, finden wir dies Be 
streben nicht minder in der Geographie; denn die Einzelheiten der Geschichte der 
Wissenschaften gewähren nur insofern einen Nutzen, als man sie durch ein gemeinsames 
Band verknüpft (A. v. Humboldt). Dieser Forderung kommt die Geographie teils 
durch das Wort, teils durch die Karte nach. Gerade die wohlbegründete Massen 
anschauung 1 2 , wie sie eine gute Karte bietet, ist für die geographische Wissenschaft von 
einem Wert wie er einer andern Wissenschaft in ähnlicher Weise kaum zur Verfügung 
steht 3 ; und die Geographie hat zweifelsohne in der zweifachen Möglichkeit der Zusammen 
fassung andern Wissenschaften gegenüber einen großen Vorsprung. 
Die Karte ist dem Bedürfnis, sich über die Erde zu orientieren, entsprungen. 
Davon zeugen sowohl unsere bestausgeflihrten Generalstabskarten wie die primitivsten 
Kartenleistungen der Naturvölker. Letztere Kartenprodukte fordern oft unsere Be 
wunderung. Sie gehen auf Naturvölker zurück, deren Orientierungssinn besonders 
scharf ausgebildet ist. Bekanntlich ist der Orientierungssinn bei den nomadisierenden 
Völkern größer als bei den ackerbautreibenden. Dieser Unterschied besteht z. B. 
zwischen den Sahara- bzw. Sudanvölkern und den Bewohnern Südafrikas. Der Va- 
queano ist der Pilot in den argentinischen Pampas, der auch dort sicher den Weg findet, 
wo kein Weg ist. 4 Die Indianer Nordamerikas, die Eskimos in Grönland, die Ostjaken, 
die Mongolen der Gobi, die Polynesier — alles Völker, die große Räume in ihrem Lebens 
und Bewegungsgebiet überwinden müssen — haben uns Beweise ihres kartographischen 
Könnens gegeben. 5 
1 Auf die große Bedeutung des Eliegerbildes als geographisches Anschauungsmittel 
hinzuweisen, erübrigt sich bei meinen Erörterungen. Trotzdem kann ich nicht umhin, auch hier zur 
Vorsicht zu gemahnen. Wenn irgendwo, gilt bei der Auswahl von Eliegerbildem: Non multa, sed 
multum! Denn man geht bereits an mehreren Stellen daran, aus der Unzahl von Fliegerbildern 
typische Bilder zusammenzustellen. Sicher ist, daß sie über viele morphologische Siedelungs- und 
andere Erscheinungen Klarheit und Licht bringen. Aber ihre Auswahl sollte man den Autoritäten 
auf diesen geographischen Gebieten überlassen und danach streben, eine größere Anzahl nach Art 
der Luftbildkartenblätter zu einem landschaftlichen Ganzen zusammenzufügen, damit die Einzel 
erscheinung in ihrer Umgebung und Gesamtwirkung erfaßt wird. 
2 E. v. Sydow: Der kartographische Standpunkt Europas in den Jahren 1864 und 1865. 
P. M. 1865, S. 449. 
3 J. Spörer: „Nichts ist geeigneter, die Gesamtverhältnisse der Erdphysik zu einheitlich 
zusammenfassender Anschauung zu bringen als das von kundiger Hand geschaffene Kartenbild.“ 
G. J. Bd. III. 1870, S. 332. 
4 K. And ree: Geographie des Welthandels. I. Stuttgart 1867, S. 184, 264. 
5 R. And ree: Ethnographische Parallelen und Vergleiche. Stuttgart 1870, S. 202 —215. — 
A. Schück: Die Stabkarten der Marshall-Insulaner. Hamburg 1902. — W. Droeber: Kartographie 
bei den Naturvölkern. Diss. Erlangen 1903.
	        
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