Die physischen Meerkarten.
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In der Nähe der Küsten sind die Gezeitenströme, die nicht mehr zu den
Meeresströmungen im eigentlichen Sinne gezählt werden können, von jeher für die
Schiffahrt von großer Bedeutung gewesen; sie sind in dem Wirkungsbereich der
Schelfflächen zumeist wichtiger als die Meeresströmungen. Darum werden auf den
Meeresstromkarten, die in den Veröffentlichungen der Deutschen Seewarte erscheinen,
wie in Segel- und Dampferhandbüchern und in den dazugehörigen Atlanten, die
Gebiete, in denen Gezeitenströmungen überwiegen, besonders dargestellt (durch
blaue Punktur). Schwarze Punkte für die gleiche Erscheinung wählte G. Schott
auf seiner Sonderkarte der atlantischen Meeresströmungen. 1 M. Krug hebt aitf der
Karte des Golfstromgebiets die Regionen mit vorherrschenden Gezeitenströmungen
merklich hervor (mit schwarzer Kreuzschraffur auf blauem Grund). Eine ähnliche
Berücksichtigung finden sie bei Krümmel, Wegemann u. a. Schon durch ihre be
sondere Signatur und Farbe werden sie den Meeresströmen gegenüber kenntlich
gemacht. 1905 gab die Deutsche Seewarte einen „Atlas der Gezeiten und Gezeiten
ströme für das Gebiet der Nordsee und der britischen Gewässer“ heraus, worauf
blaugrün das Elutstromgebiet und gelblich das Ebbestromgebiet koloriert ist, während
die Gebiete, wo keine Gezeitenströme, wo Stauwasser- und Kenterungsgebiete sind,
weiß ausgespart sich zeigen. Es sind so eigentlich Stundenkarten erstanden, worauf
mit verschiedenen dicken und langen Pfeilen die Ströme von 0—1,5; 2—8; 8,5—4,5;
5 und mehr Seemeilen in der Stunde gekennzeichnet werden. Die Linien, die die
Orte mit gleicher Hochwasserzeit verbinden, sind die „Isorrhachien“ oder „Homo-
pleroten“. Eine neue Isorrhacliienkarte des Weltmeeres skizzierte B. Sterneck,
der im Gegensatz zu (). Krümmel u. a. die Meerestiden nicht für fortschreitende,
sondern für stehende Wellen ansieht. 1 2
84. Das temporale Element in der Meeresströmungskarte. In dem soeben er
wähnten Atlas der Gezeiten und Gezeitenströmungen tritt das temporale Element
bei der Darstellung der Meeresoberflächenbewegungen als ausschlaggebender Faktor
in den Vordergrund. Nicht minder wichtig ist es bei den Meeresströmungen. Das
temporale Element spricht sich hier in der Periodizität der Strömungsrichtung im
Laufe bestimmter Zeitabschnitte innerhalb eines Jahres aus. Bekanntlich ist das
berühmteste Beispiel die Südwestmonsun- und Nordostmonsuntrift im Indischen
Ozean, die großen Begleiterscheinungen zu dem halbjährlich den Grundtypus der
atmosphärischen Bewegungen fast diametral ändernden System der Monsune. Zw r ei
Karten sind für die Darstellung unbedingt notwendig oder man hilft sich in den
Übersichtskarten für das zweite Strombild mit einer Einsatzkarte. Derartige Karten
gebilde begegnen uns in Berghaus’ Physikalischem Atlas. 0. Krümmel und G. Schott
schwimmen in demselben Fahrwasser. Eine ältere Darstellung ist mir bekannt,
worauf das Problem, die Strömungen des Indischen Ozeans in den extremen Winter-
und Sommermonaten in ein Kartenbild zu verschmelzen, nahezu gelöst erscheint.
Es ist die nach K. F. R. Andrau’s Karten 3 kombinierte Karte der Meeresströmungen
1 G. Schott: Geographie des Atlantischen Ozeans. Hamburg 1912, T. XV l.
2 R. Sterneck: Die Gezeiten der Ozeane. I. Mitt. S. B. Akad. d. Wiss. W ien, math.-nat.
Kl. Abt. Ha, CXXIX, 2. Mit 2 K. Wien 1920. - Die Gezeiten im Atlant. Oz. Annal. d. Hydrogr.
XLVIII. 1920, S. 396-398. Mit 2 K.
3 K. F. R. Andrau im 2. Teile der Uitkomsten van wetenschapen ervaring aangaande winden
en zeestroomingen in sommige gedeelten van den Ocean, uitgegeven door het Kon. Nederl. Meteorol.
lnstituut. Utrecht 1857.