Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

Mittel- und Dichtewerte. 
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Werk gebrochen. Eine Karte, die keine mathematische Basis hat, ist keine Karte, 
auch kein Kartogramm, selbst wenn sie den Vorteil hätte, daß sie die Volksmenge 
in vollendeter, überall gleichartiger Deutlichkeit darzustellen und die Städte in einer 
ihrer Größe genau entsprechenden Flächenausdehnung einzuzeichnen erlaubte. 
Ferner können für die Art und Weise des Auswalzens der Karte — natürlich nur im 
übertragenen Sinne hier zu verstehen — keine bestimmten Richtungslinien gegeben 
werden. Alles bleibt dem Geschick und Gefühl des Zeichners überlassen. Das ist 
aber der schwächste Punkt des Systems, hier wird es aus der Angel gehoben und 
fällt in sich zusammen; denn sicher ist, daß von tausend Bearbeitern jeder ein wesent 
lich anderes Bild liefern würde. 
Zuletzt ventiliert H. Wiechel die Frage, wie sich eine Weltkarte nach seinem 
System ausnehmen würde. Gezeichnet hat er sie nicht; und wenn sie gezeichnet 
worden wäre, würde sie nur die Reihe unserer kartographisch interessanten Kuriosa 
um eine neue Nummer vermehrt haben, damit wäre auch alles geschehen. An 
zuerkennen ist der Gedanke, daß bei Darstellungen von Volksdichte- und Volksmenge 
karten der Erde die Mercatorprojektion wegen der mit ihr verbundenen dauernden 
Flächenänderung zu verwerfen ist. Zur Unterstützung seines Systems ruft Wiechel 
die Darstellung der Truppenkörper auf Schlacht planen und Dislozierungskarten an, 
auf denen die Ausdehnung der einzelnen Signaturen in der Kartenfläche proportional 
der Truppenmenge ist. Diese Vorbilder nennt er nicht unpassend „Truppenmenge 
karten“. Dabei vermengt aber Wiechel sein System mit den statistischen Karto 
grammen, die wir bereits analysiert haben. Immerhin bleibt sein Versuch, dem 
Problem der Volksdichte- und Volksmengedarstellung von einer andern als der bisher 
üblichen Seite zu Leibe zu rücken, interessant und für die Klärung der Sache dankens 
wert. Nachgeahmt ist sein System nicht. Die Begeisterung, die beim Erscheinen 
der Wiechelschen Karte stellenweise laut wurde, ist wieder verrauscht. Beim ersten 
Anblick wirkt sie verblüffend, die roten und dunklen Farben springen einem ins 
Gesicht und geben eine Vorstellung von der Bedeutung der damit gemeinten Fraktionen. 
PL Haack sagt in dem einführenden Teil zu der Karte: „Welches Leben atmet die 
neue Karte, dadurch daß sie dem Leben gerecht wird." Gewiß atmet sie Leben, 
der Geograph muß leider sagen: ein nur zu kurzes Leben. Wenn wir das Deutsche 
Reich mit der Germania vergleichen und den Kopf in Ostpreußen erblicken, sehen 
wir an der Wiechelschen Karte, daß der Kopf bedenklich an Auszehrung leidet, auch 
das schleswig-holsteinische Glied ist unnatürlich verkümmert, dagegen sind der Leib 
und die sich darunter ansetzenden Teile wassersüchtig angeschwollen. Derartige 
Bilder, selbst wenn sie kartographisch einigermaßen fixiert sind, stoßen den geo 
graphischen Betrachter immer ab, oder man stellt sich auf den Standpunkt, eine 
besonders merkwürdige Erscheinung vor sich zu haben und ist dann zufrieden. Auch 
so was muß mal konstruiert werden! 
Wenn H. Haack gegen die üblichen Wahlkarten, die nur innerhalb der Wahl 
kreise durch Farbedeckung die Partei kenntlich machen und nicht den wirklichen 
Stand der Parteien, Front macht, muß man ihn darin unterstützen. Selbst die neben 
dem Kartenbilde verzeichneten Diagramme über die Größe der einzelnen Parteien 
können den Mangel des Kartenbildes nicht wett machen. 1 Haack sagt ferner: „Wollte 
man die gewöhnliche Landkarte zur Not für die Darstellung der Bewohnerzahl be 
1 Vgl. z. B. G. Freytags Reichstags-Wahlkarte für 1907. Leipzig u. Wien 1907.
	        
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