Die Funktionen der Mittelwerte auf Verkehrs- und wirtschaftsgeographischeu Karten.
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94. Mittlere Eisenbahnferne. Entsprechend den Kurven mittlerer Grenz
abstände werden die Kurven der Eisenbahnferne ähnlich konstruiert, und zwar durch
die von einzelnen Bahnstrecken gleichweit abstehenden Punkte. Auf diese Methode
hat bereits F. G. Hahn 1 hingewiesen, sodann 0. Marinelli 1 2 , der die Kurven „chori-
graphische“ oder „isochorische Linien“ genannt hat. Auch C. Bohrbach gebraucht
in der mit Marinellis Abhandlung fast gleichzeitig erschienenen Untersuchung über
mittlere Grenzabstände den Ausdruck „chorigraphische Kurve“, jedoch nicht im
Sinne einer auf der Karte festgelegten Linie, sondern einer auf rechnerischem Wege
bestimmten Kurve. 3 Wesentlich durch Hahn und Marinelli angeregt, hat B. Tronnier
im Jahre 1910 eine Karte der Eisenbahnferne von Nordwestdeutschland veröffent
licht, die Hannover nebst an- und umliegenden Teilen Oldenburgs, Bremens, Hamburgs
und Braunschweigs umfaßt; er glaubt dadurch als Dritter auf dies wichtige Gebiet
der Verkehrgeographie praktisch hingewiesen zu haben. 4 Vor ihm hatte jedoch schon
1905 Caterina Cecchini für Italien die mittlern Eisenbahnfernen berechnet und
kartographisch niedergelegt. 5 Ein weiterer bemerkenswerter Versuch ist die Karte
der Eisenbahnferne Bayerns von Iv. Kimmei, auf der wie bei Tronnier die Linien
gleicher Eisenbahnferne von 5 zu 5 km entfernt laufen. 6
Das Intervall von 5 zu 5 km (0—5, 5—10, 10—15 und über 15 km) hat an sich
ein zusannnenfassendes Moment, noch mehr der Begriff der mittlern Eisenbahn-
ferne, die das Ergebnis des Durchschnitts der Maximal- und Minimalwerte ist. Sie
ist ohne Zweifel der knappste Ausdruck der Eisenbahnferne und wie die mittlere
Maschenweite des Eisenbahnnetzes ein vorzügliches Material zum Vergleich mit
andern Zeiten und andern Ländern. Wenn man feststellt, daß die mittlere Entfernung
von der Eisenbahnstrecke in der Lombardei 6 km, in der Basilicata und in Sardinien
11 km beträgt, weiterhin beim Vergleich größerer Gebiete in Bayern 8,5 km, in Nord
westdeutschland annähernd ebensoviel und in ganz Italien reichlich zweimal soviel,
ergeben diese Mittelwerte ein beredtes Zeugnis von der Aufgeschlossenheit eines
Landes. Die Eisenbahn wird sodann auch hier zu einem Maßstab für die Kultur
eines Landes und gewährt als solcher einen guten Einblick in die wirtschaftliche
Entwicklung und Höhe eines Landes. Das haben E. G. Hahn, t'. Bohrbach und
K. Hassert (letzterer in seiner Allgemeinen Verkehrsgeographie) ganz besonders
betont im Gegensatz zur Eisenbahndichte, bei der angegeben wird, wieviel Kilometer
Bahnlänge auf den Quadratkilometer oder ein Vielfaches desselben oder auf eine
bestimmte Anzahl von Menschen entfallen.
Die einfachen Werte der Eisenbahnferne lassen sich kartographisch gut ver
anschaulichen, schwieriger wird dies bei den besagten Mittelwerten. Da kann nur
1 F. G. Hahn: Bemerkungen über einige Aufgaben der Verkehrsgeographie und Staaten
kunde. Z. f. wiss. Geogr. V. 1885, S. 242.
2 O. Marinelli: Brevi considerazioni sull’ impiego delle curve isometriche. Riv. Geogr. Ital.
IX. 1899, S. 393-402.
3 C. Rohrbach: Über mittlere Grenzabstände. P. M. 1890. SA. S. 5.
4 R. Tronnier in P. M. 1910. I. T. 45. — Vgl. dazu den Text: Über Eisenbahnferne und
Eisenbahnfernekarten. P. M. 1910. I. S. 257, 258.
5 C. Cecchini: La distribuzione delle ferrovie in Italia. Riv. Geogr. Ital. XIII. 1900. S. 10
bis 27. Mit Karten. — Vgl. hierzu wie zu der gesamten obigen Ausführung den lesenswerten Ab
schnitt aus K. Hasserts Allgemeiner Verkehrsgeographie. Berlin u. Leipzig 1913, S. 143-L>2.
6 R. Tronnier in P. M. 1913. I. T. 42. — Vgl. dazu den Text: Einige Beiträge zur Lisen-
bahngeographie Bayerns. P. M. 1913. I. S. 296—300,