Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

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Die See- und Meerkarte. 
die Lage der Küsten gegenüber der der alten Rumbenkarten etwas verschob, wurde 
oben angedeutet. Darum erblicke ich in diesen Rumbenkarten auch nicht mehr 
die der alten Zeit. Sie haben bei dem Gewinn einer großem Genauigkeit der Karten 
situation ihre alte Ursprünglichkeit eingebüßt. Man muß darum sehr wohl innerhalb 
der Rumbenkarten zwei Arten oder zwei Entwicklungsperioden unter 
scheiden. Vielleicht kann man in Anlehnung an Nordenskiöld die ursprünglichen 
als „Normal-Portulankarten“, d. h. in unserer Redeweise als „Normal-Rumbenkarten“ 
oder auch als die typischen Rumbenkarten bezeichnen; es sind also die, die noch 
keine Projektion besitzen und lediglich die Entfernungen der Küstenpunkte wieder 
geben. Die andern, die einer Übergangszeit in der Geschichte der Seekarte angehören, 
können als „Übergangs-Rumbenkarten“ gelten. Hier wäre unter anderm der See 
atlas des italienischen Kosmographen Giovanni Martines aus dem Jahre 1562 
zu nennen; die sieben auf Pergament gezeichneten Karten gehören zu den bedeutendsten 
Küstenkarten aus der Zeit nach der Entdeckung Amerikas. 
Mit voller Ausrüstung, d. h. mit Breiten- und Längenskala, jedoch nur am 
Rande — die Breitenskala zuweilen auch an einem oder mehreren Meridianen 1 in 
mitten des Kartenbildes —, tritt uns 1560 die in Erz gravierte Karte des Atlantischen 
Ozeans von Nicolaus de Nicolay entgegen 1 2 , wobei die Längengrade des Wendekreises 
des Krebses, der die mittlere Längsachse der Karte bildet, die bestimmende Linie 
für die Plattkartenkonstruktion ist. 
8. Die niederdeutschen Seekarten. Haben sich die Rumbenkarten der weit 
gehendsten Beachtung in Reproduktion and Forschung zu erfreuen, wurden die 
niederdeutschen Seekarten und Segelanweisungen bisher wie Stiefkinder behandelt. 
Diese Erkenntnis war auch die Triebfeder zu W. Behrmanns Untersuchungen über 
die niederdeutschen Seebücher. Leider sind diese und ähnliche andere Arbeiten nicht 
fortgesetzt worden. Sicher würde noch manch interessanter Lichtstrahl auf die 
niederdeutsche Seekartenliteratur geworfen werden. Zwischen den alten Rumben 
karten und den niederdeutschen Seekarten lassen sich eine Reihe beachtenswerter 
Parallelen ziehen, wozu Behrmann bereits den Anfang gemacht hatte. Den alten 
Segelanweisungen, den Periplen, entsprechen die „Seebücher“, „Seekarten“, „Sailing 
directions“, „Derrotero“ des Atlantischen Ozeans. Das älteste uns erhaltene nieder 
deutsche Dokument ist ein Seebuch, dessen älteste Teile bis ins 14. Jahrhundert 
zurückreichen. 3 Mit Behrmann stimme ich überein, daß die Entfernungsangaben 
in dem Seebuche jüngern Datums sind 4 , die Hafenbeschreibungen dagegen die ältesten 
Bestandteile. Als zweitältestes Denkmal wird die Seekarte zitiert, die als Caerte 
1 Auf der großen Weltkarte von Diego Ribero 1529 tritt uns innerhalb des Kartenbildes 
dreimal eine graduierter Meridian entgegen. Vgl. Nordenskiöld: Periplus, T. XLVIII u. XLIX. 
2 Vgl. Nordenskiöld: Periplus, T. XXVII. 
3 K. Koopmann hat das Seebuch nach dem in der Hamburger Commerzbibliothek befind 
lichen Manuskript 1876 in Bremen herausgegeben. 
4 W. Behrmann, a. a. O., S. 6, macht darauf aufmerksam, daß auch das älteste englische 
Seebuch „Sailing directions for the circumnavigation of England and for a voyage to the Straits of 
Gibraltar“ (from a 15th century Ms., hg. von J. Gairdner u. D. Morgan, Hakluyt Society LXXIX, 
1889) und das kleine Seebuch „Dit is di Kaerte van dije Suijdzee tot dat Ranserdiep toe / ende tot 
dat Maersdiep toe / Om met schepen wt of in te zeijlen van Amstelredam te zee waert. Ghedruckt 
Int Jaer 1540“ nirgends eine Spur von Entfernungen aufweisen.
	        
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