Die anorganische Welt im Kartenbild.
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Rudolph und Szirtes sind ferner der Meinung, daß ihre Karte durch die Teilung
des Erdbildes in zwei Erdhalbe den Vorteil habe, daß auf der Karte mit dem Straß
burger Zentrum die Hauptausstrahlungsgebiete von Weltbeben in den Randgebieten,
und auf der mit dem Antipodenzentrum die Reste der Hauptbebengebiete (im süd
westlichen Teile des Großen Ozeans) fast im Mittelpunkt des Kartenbildes liegen.
Bezüglich der zweiten Erdhalbe ist das Ansichtssache, da die Karte außerdem am
Rande die großen südamerikanischen Erd- und Seebebengehiete umfaßt. Warum
ist man nicht einen Schritt weiter gegangen und hat die mittabstandstreue Azimutal-
projektion von Straßburg aus über die ganze Erde ausgedehnt, so daß der Antipoden
punkt zum beschließenden Kreis des Projektionsbildes geworden wäre? War die
Konstruktion zu schwer? Ein Muster dafür habe ich bereits in der Isochronenkarte
der Erde gegeben. 1 Daß sich durch ein derartig über die gesamte Erde gespanntes
speichentreues Netz, das für jeden Beobachtungsort besonders zu konstruieren ist,
außerordentliche Vorteile für seismische Beobachtungen und Aufzeichnungen ergeben,
braucht nicht weiter von mir erörtert zu werden.
Für Teilgebiete der Erde, für Erdhalben und darüber hinausragende Gebiete
gibt es bereits eine größere Anzahl mittabstandstreuer Azimutalprojektionen. Rudolph
und Szirtes haben keinen neuen projektionstechnischen Gedanken inauguriert. Er
innert sei nur an die ältesten derartiger Entwürfe, an das Planispherium terrestre
(Planisphère terrestre) von J. Cassini aus dem Jahre 1694, das den Nordpol zum
Zentrum hat und über den Äquator hinaus bis zum 60° s. Br. vergrößert ist. Die
Karte stellt anerkanntermaßen die erste moderne Weltkarte dar, nicht die von de Fer,
Nolin oder Delisle. 1 2 Ähnlich und gleichweit reichend besitzen wir aus dem Jahre
1754 das Planisphère physique von Phil. Buache, das eine Zierde der Sammlung
Cartes et tables de la géographie physique ou naturelle, Paris 1757, ist. 3
Selbst im Bereich der erdmagnetischen Karte, wo man an den Bestand
der Mercatorkarte kaum zu rütteln wagte, hat man nach neuen Projektionsformen
gesucht. H. Maurer unterbreitet uns einen bemerkenswerten Versuch in Petermanns
Geographischen Mitteilungen. 4 Er geht davon aus, daß die Mercatorkarte zur Be
stimmung der Mißweisung infolge ihrer Rechtschnittigkeit und Geradlinigkeit für
die Schiffahrt stets ihre Geltung behalten wird. Zu Lehrzwecken jedoch, wo es auf
den Nachweis des Verlaufs und Charakters der Isogonen ankommt, ist die Mercator
karte geradezu unbrauchbar. Sie vermag infolge ihres Wesens den Polpunkt nicht
zu zeigen, aber auch die Polgegenden werden auf ihr gewöhnlich im N bis höchstens
80° und im S gar nur bis 60° dargestellt. Bei einer solchen Beschneidung des Erd
hildes erscheint nur ein magnetischer Pol auf der Karte, der magnetische Nordpol,
der Südpol fehlt. Ferner geht man der Anschauung verlustig, daß die Isogonen jeder
Bezeichnung sowohl durch den magnetischen wie durch den astronomischen Pol
verlaufen. Alle diese Mängel sucht der Entwurf von Maurer abzustellen. Er besteht
im Grunde genommen aus zwei Erdhalben, bei denen die Erdpole ursprünglich in
1 M. Eckert: Eine neue Isochronenkarte der Erde. P. M. 1909, T. 25. — Wirtschaftsatlas
der deutschen Kolonien. Berlin 1912. K. auf S. 2, 3.
2 Chr. Sandler: Die Reformation der Kartographie um 1700. München u. Berlin 1905, S. 9.
Reproduktion der K. von Cassini, dem Sohn, auf T. 2. [Na.-Bi. Paris.]
3 Diese Sammlung der Karten von Phil. Buache u. Delisle ist selten. Exemplare sah ich
in Wien u. Paris, hier in der Bi. der Soc. Géogr.
4 H. Maurer: Neue Weltk. zur Darstellung der Isogonen. P. M. 1911, II, S. 91. Dazu
Isogonenkarte in besonderer Projektion, T. 16.