Zur Geschichte der Seekarte.
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ist der Neptune françois, der bei Pieter Mortier in Amsterdam unter Mithilfe von
Charles Pene, Cassini, H. Jaillot, Romain de Hooge, de Fer, Nolin, Placide u. a. her
gestellt wurde und in vier Teilen 1693—1700 erschien. Der erste Band ist der wichtigere
und enthält die Küstengebiete Westeuropas von Drontheim bis zur Straße von Gi
braltar. 1 Gegenüber den andern Seeatlanten seiner Zeit zeigt er bedeutende Fort
schritte. In die west- und nordeuropäischen Seekartenbilder wurden zum ersten
Male die neuern Längenbestimmungen hineingewebt. Von der großen Brauchbarkeit
der Mercatorprojektion oder der „cartes réduites“, wie es damals hieß, war man
sicherlich in Seemannskreisen überzeugter als heute gewöhnlich angenommen wird.
Großer Wert wurde im Neptune françois gerade auf die „cartes réduites“ gelegt
(§25); und zum ersten Male wird das Prinzip der Mercatorprojektion bei einem
großen Atlas angewandt und so w r eit wie möglich durchgeführt, nämlich für die
Übersichtskarten, die sich in den ungefähren Maßstäben 1:7000000, 1:2800000,
1:2500000 bis 1:1300000 bewegen. In letzterm Maßstab sind nur zwei Karten
konstruiert: die Carte de la Manche und die Carte du Golfe de Gascogne (Biscaya).
Die Spezialkarten oder „cartes particulières“, wie sie im Atlas heißen, erscheinen
noch als Plattkarten. Sie befolgen im großen ganzen folgende Maßstäbe: 1 : 500000,
1 : 370000, 1 : 300000, 1 : 160000. Selbst auf die Maßstäbe 1 : 1400000 und 1 : 1445000
greift diese Art Karten über, wie auf der Carte des costes de Portugal und auf der
Carte de la mer de Dannemark zu beobachten ist. Der häufige Wechsel der Maß
stäbe ist auffällig. Blattgröße und Umfang des darzustellenden Gebietes haben den
Maßstab bestimmt.
In der äußern Ausstattung als Seekarte bedeutete der Neptune françois ebenfalls
einen Fortschritt und sein Einfluß auf das Seekartenwesen des 18. Jahrhunderts ist
unverkennbar. 1 2 Auf die Vertoonungen wurde kein Gewicht gelegt, dafür aber auf
die natürliche Wiedergabe charakteristischer Häuser, Kirchen, Windmühlen, auch
Bergformen in der Nähe der Küste. Die Tiefenangaben haben sich schon sichtlich,
insonderheit bei großem Flußmündungen, wie bei der Themse, der Gironde, vermehrt.
Auf den Partikularkarten werden einheitlich die Angaben über die Sandbänke, die
je nach Ebbe und Flut bedeckt oder unbedeckt, und Bänke, die immer mit Wasser
bedeckt sind, verschlammte, beieckte und unbedeckte Ufergebiete durchgeführt;
ferner stets sichtbare Felsen, dann wiederum solche, die nur bei Hochwasser bedeckt
sind, und Felsen, die je nach den Gezeiten bald bedeckt, bald unbedeckt sind. Bei
den ansehnlichem Häfen finden sich noch gerade Linien, die zur Beachtung der Ge
fahren dienen, und punktierte Linien, die die Fahrtrinne, die befolgt werden muß,
genau verzeichnen. Schließlich ist im Neptune françois noch auf die Tiefenzahl hin-
1 Le Neptune françois, ou atlas nouveau des cartes marines, levées et gravées par ordre exprès
du roy, pour l’usage de ses armées de mer, dans lequel on voit la description exacte de toutes les côtes
de la mer oceane, et de la mer baltique, depuis la Norwege jusques au détroit de Gibraltar. Où sont
exactement marquées les routes qu’il faut tenir, les bancs de sables, rochers et brasses d’eau; et générale
ment tout ce qui concerne la navigation. Le tout fait sur les observations et l’experience des plus
habiles ingénieurs et pilotes. Reveu et mis en ordre par les sieurs Pene, Cassini et autres. A Paris,
chez Hubert Jaillot aux deux globes. 1693. Avec privilège du roy. — Der erste Teil wurde auf
Ludwigs XIV. v. Frankreich, der zweite auf Wilhelms III. v. Großbritannien, der dritte auf der
Könige v. Portugal Befehl herausgegeben.
2 Selbst kleinere Seekartensammlungen lehnten sich an den Neptune françois an, so „Le
petit Neptune français or French coasting pilot“. London 1793. Gedruckt bei W. Faden. — Auf
jeder Karte steht Datum u. Jahr der Herausgabe. [Lab. Geogr. Phys. in der Sorbonne, Paris.]
Eckert, Kartenwissenschaft. П. 2