Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

Zur Geschichte der Seekarte. 
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8. Die neuen Ziele der deutschen Seekarte. Mit dem Anfang des neuen Jahr 
hunderts hatte die Nautische Abteilung ihre Aufgaben erweitert, was auf die An 
regung und wärmste Fürsorge durch Admiral v. Tirpitz geschah. Er setzte dem 
deutschen Seekartenwerk ein neues Ziel. Wenn die Deutschen Welthandel und Welt 
verkehr treiben wollten, mußten sie auch ein Seekartenwerk für alle Meere besitzen; 
denn bis jetzt mußte sich die deutsche Handelsflotte mit englischen Seekarten be 
gnügen. Die Aufgabe erweiterte sich dahin, daß außerdem deutsche Seehandbücher, 
Leuchtfeuerverzeichnisse und Gezeitentafeln aller Meere geschaffen wurden. Zunächst 
galt es, die Küsten der neuen deutschen Schutzgebiete aufzunehmen. Der Bismarck 
archipel wurde schon 1884 durch das Schiff „Elisabeth“ in Angriff genommen. Im 
folgenden Jahre sehen wir die Schiffe „Bismarck“ in Kamerun und „Albatroß“ bei 
den Karolinen tätig. Die Aufnahmen an der Küste Kameruns wurden in den folgenden 
Jahren von mehreren Schiffen ausgeführt. In Deutsch-Ostafrika begannen die 
Küstenaufnahmen 1888, in Deutsch-Südwestafrika 1896. Ein Jahr vorher hatte 
die Ostasiatische Kreuzerdivision die Kiautschoubucht in Angriff genommen. Von 
dem Vermessungsschiff „Möwe“ wurden in dem Schutzgebiet der Südsee größere 
Messungen ausgeführt 1 , wie später auch von dem im Jahre 1905 gebauten Vermessungs 
schiff „Planet“ 1 2 . Mit ihm wurde die „Planet-See“, das tiefe Becken im S von Neu- 
Pommern ausgelotet, sowie die bis jetzt bekannte größte Meerestiefe, das „Planet- 
Tief“, mit 9788 m im NO von Mindanao im Philippinengraben. 
Außer in deutschen Kolonialgebieten wurden auch an fremden Küstengebieten 
fleißig vermessen, so im Südchinesischen Meere die Paracel-Inseln (1881—1888 durch 
„Victoria“), West-Patagonien (1888/84 durch „Albatroß“), San Domingo (1887 durch 
„Prinz Adalbert“) und andere Gebiete. Aber auch sämtliche Karten der Ost- und 
Nordsee erfuhren im Jahre 1883 (desgleichen auch später) eine plötzliche Erneuerung 
infolge eines einheitlichen Betonnungssystems der deutschen Küsten. 
Bei der Bearbeitung des Seekartenwerks für alle Meere konnten die Deutschen 
eo ipso nicht auf eigene Messungen und Lotungen in allen Küstengebieten fußen. 
Fremdes Seekartenmaterial mußte verarbeitet werden. Die Bearbeitung ist aber 
nicht bloß eine einfache Überarbeitung und ein Nachdruck des fremden Seekarten 
blattes, sondern die topographischen Aufnahmen fremder Gebiete, die Karten ver 
schiedener geographischer Publikationen, wichtige Notizen aus Leuchtfeuer- und 
Seezeichen-Verzeichnissen, aus Segelhandbüchern, Konsularberichten u. a. m. werden 
in die Seekarte des fremden Gebietes hineingearbeitet. So wird dieses Kartengebilde 
durchaus zu einer selbständigen Karte, zu einem deutschen wissenschaftlichen 
Erzeugnis. Die deutsche Gewissenhaftigkeit geht so weit, daß dort, wo die fremden 
Materialien Lücken aufweisen, sie bestehen bleiben und die Schiffer besonders darauf 
aufmerksam gemacht werden; so ist das Vorkriegsblatt Ostende, dem belgische 
offizielle Aufnahmeblätter zugrunde liegen, ein lehrreiches Beispiel dafür. So bequem 
und nonchalant bei der Bearbeitung fremden Materials machen wir es uns nicht wie 
Engländer und Amerikaner. Es klingt eigentümlich, wenn der amerikanische Capt. 
Knapp sagt: „I will take an English chart and wipe out their name and put an our 
1 Vgl. Astronomische Ortsbestimmungen im deutschen Schutzgebiet der Südsee, ausgeführt 
im Aufträge des Reichs-Marineamts von Dr. Hayn, Berlin 1907. 
2 Vgl. Forschungsreise S.M.S. „Planet“ 1906—1907, hg. vom Reichs-Marineamt. — Uber 
die verschiedenen Aufnahmen in den deutschen Kolonien vgl. Die Entwicklg. des Deutschen See 
kartenwerkes, a. a. 0., S. 96.
	        
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