Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

Völkerkarten. 
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hältnissen abhängig sind, so darf man wohl sagen: In der physischen Beschaffenheit 
der Wohngebiete ist das Schicksal der Völker und der gesamten Menschheit gleichsam 
vorgezeichnet; zur Entwicklung kommt dies Schicksal freilich nur durch die dem 
Menschen eingeborenen Triebe und Fähigkeiten.“ 1 Eingeborene Triebe und Fällig 
keiten haben im Laufe der Geschichte die Grenzen der Ökumene ständig erweitert, 
bis sie endlich an ein Gebiet oder einen Grenzraum anlangten, wo die Natur ihnen 
Halt gebot oder mit andern Worten: w r o die dauernden Wohnsitze der Menschheit 
aufhören. Die Grenze der Ökumene hat zum ersten Male, soweit mir bekannt ist, 
Aug. Petermann auf einer Skizze zur Übersicht der Dichtigkeit der Bevölkerung 
in den verschiedenen Teilen der Erde gebracht, worauf mit punktierten Linien die 
äußersten nördlichen und südlichen Grenzen der permanenten Wohnsitze der Menschen 
bezeichnet sind. 1 2 
Innerhalb der Ökumene gibt es viele Gebiete, die nicht bewohnt sind. Spezial 
karten wird man es überlassen müssen, das Gebiet der Siedlungen von den Öd 
ländereien zu trennen, so ähnlich wie es Th. Thoroddsen für Island ausgeführt 
hat. 3 Ödländereien finden sich heutigestags auch da, wo früher blühende Ortschaften 
waren. Karten, die diesen Ideen nachgehen, sind noch spärlich gesät. Auf der 
Topographischen Karte zur Veranschaulichung der Besiedlungsgeschichte des 
Thüringer Waldes, die wir Er. Regel verdanken 4 , sehen wir in Rot die Wüstungen, 
ob sie eine Ortschaft oder ein Hof, eine Burganlage oder eine Raubburg, ein Kloster 
oder eine Kirche usw. sind. Von der heutigen Erdoberfläche sind sie verschwunden. 
Dafür sind andere entstanden. Einer ähnlichen Erscheinung wie Regel ist A. Bezzen- 
berger nachgegangen, als er die untergegangenen Dörfer auf der Karte der Kurischen 
Nehrung und ihrer Umgebung eintrug. 5 Trugen im Thüringer Wald die Kriegs 
unruhen des 80jährigen Krieges die Schuld an den Verwüstungen, so auf der 
Kurischen Nehrung das Wandern der Dünen. Zur Verödung von Städten und Land 
strichen können ferner wirtschaftliche und politische Verhältnisse beitragen. Im 
Küstenstrichgebiet des nördlichen Kleinasiens sind die alten, von den Venetiern be 
festigten Orte und Burgen verfallen, weil die Handelswege neue Richtungen ein 
geschlagen haben, im westlichen und südlichen Kleinasien alte kaum den Namen 
nach bekannte Städte, weil die Herrschaft alter bedeutender Reiche, wie die der 
Hethiter, längst gebrochen worden war. Die kartographische Darstellung dieser und 
ähnlicher Erscheinungen fehlen bis heute noch. Einen schwachen Anfang dazu kann 
man in der Karte der Ortsformen des Königreichs Sachsen erblicken, die Alfred 
Hennig mit Benutzung der ältern Elurkrokis des Landes aus den Jahren 1885—1842 
unter historisch-genetischem Gesichtspunkt bearbeitet hat. 
Das Wandern und Vordringen der Wohnplätze ist eng mit der Siedlungsdichte 
verknüpft. Auf einer Karte von R. Blum sehen wir 6 , w T ie durch runde kräftige 
Punkte das Vorrücken des Schwerpunktes der Bevölkerung der Vereinigten Staaten 
von 1790—1900 gekennzeichnet wird; das für Wohnsitzverlegungen als rapid zu 
1 E. Böhm: Die Verteilung der Menschen üb. d. Erde. P. M., Ergh. 35, 1874, S. 102. 
2 A. Petermann i. P. M. 1859, S. 1. 
3 Th. Thoroddsen i. P. M., Ergh. 152, 1905. 
4 Fr. Regel i. P. M.. Ergh. 70, 1884. 
5 A. Bezzenberger: Die Kurische Nehrung u. ihre Bewohner. Forsch, z. deutsch. Landesk., 
III. Heft, Stuttgart 1889. 
6 R. Blum: Kärtchen der Verein. Staaten. P. M., Ergh. 142, 1903.
	        
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