472
Die organische Welt im Kartenbild.
*
ferner von Sprachgrenze rede, ist damit stets der Sprachgrenzraum oder kurzweg
Sprachraum zu verstehen; für mich sind also beide Bezeichnungen synonym.
Was wir als Sprachraum ansehen, bezeichnen andere als Miscligebiet. Besondere
Mischlings- und Durchdringungsgrenzen, wie Penck meint 1 , gibt es nicht; denn jeder
Sprachraum ist eo ipso ein Mischlings- und Durchdringungsgebiet. F. Held stellt es
als ,,eine wichtige ethnographische Erscheinung“ hin, daß es nur in seltensten
Fällen eigentliche Übergangsgebiete gibt. 1 2 Ohne die Völker- und Sprachwissenschaft
irgendwie zu beeinträchtigen, ist es nach ihm vollständig berechtigt, alle Orte mit
mehr als 50°/ 0 einer Nationalität oder Sprache dieser unbedingt zuzuzählen. Diese
Annahme hat nur für Karten kleinen Maßstabes eine Berechtigung, an Karten großem
Maßstabes müssen höhere Forderungen gestellt werden. Bevor wir diesen nachgehen,
sei noch betont, daß selbst auf Karten kleinern Maßstabes neben den Sprachgrenzen
das gemischte Gebiet als ein eigenes hervorgehoben wird, wie wir bei A. Petermann
sehen 3 , der für das Elsässer Sprachgebiet erst eine scharfe deutsche, dann eine scharfe
französische Grenze zog; das dazwischenliegende Gebiet wurde besonders markiert.
Zum Schluß ist das Ganze eigentlich nichts anderes als die kartographische Dar
stellung eines fest Umrissenen Sprachraiuns. Es ist die gleiche Erscheinung, die wir
auf der Karte der Sprachgrenze in Elsaß-Lothringen von H. Kiepert wahrnehmen,
wo das Übergangsgebiet von Französisch (rot) zu Deutsch (grün) durch violette und
blaue Töne dargestellt wird. 4
Schwierig ist es, die richtige kartographische Sprache für den Grenzsaum zu
finden. Wir sagten, daß die scharfe Grenze für Karten kleinern Maßstabes unvermeid
lich ist, aber selbst auf großmaßstabigen kann man sie noch vorfinden, wenn auch
modifiziert. Trotz der scharfen Grenzlinie werden gute Karten kleinern Maßstabes
nicht versäumen, eine gewisse Charakteristik des Grenzsaumes, ob er breit oder
schmal ist, zum Ausdruck zu bringen. Es hat sich nun die kartographische Methode
ausgebildet, die Grenzsprache in Sprachinseln aufzulockern, zunächst in größere
(und häufigere), sodann in kleinere, die sich allmählich im Sprachgebiet der andern
Sprache verlieren. Diese Tropfengrenze, wie ich sie nennen will, hat sich ein
großes Betätigungsfeld sowohl im In- wie im Ausland errungen. Auf Wand-, Studien-,
Handatlas- und Schulatlaskarten wird sie gebraucht. Es ist sicherlich keine un
geschickte Methode, um das Verklingen einer Sprache zum Ausdruck zu bringen.
Neuere gute Karten nach dieser Art sind die Hand- und Wandkarte von Dietrich
Schäfer über die Völker Europas 5 und die Wandkarte der Völker Europas von
H. Hertzberg. 6 Das Loh, das Verfahren zuerst umfangreich und trotzdem detail
liert angewandt zu haben, gebührt A. F. Rittich mit seiner Ethnographischen Karte
von Rußland im Maßstabe 1 : 3700000 aus dem Jahre 1878. 7
1 A. Penck, a. a. O., S. 171.
2 F. Held: Zur Sprachenk. Deutsch Österreichs. P. M. 1887, S. 14.
3 A. Petermann: Das General-Gouvernement Elsaß u. d. Deutsch-Franzos. Sprachgrenze.
P. M. 1870, T. 22.
4 H. Kiepert i. Z. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin, IX. 1874, T. 4.
5 1). Schäfer: Karte der Völker Europas. 1 : 4000000. Berlin 1916.
6 H. Hertzberg: Die Völker Europas. 1 : 3000000. Gotha 1920. A. Penck hat in seinem
Aufsatz, a. a. O., S. 171, Anm. 3, falsch zitiert und schreibt Haack-Hertzfeld anstatt Hertzberg.
7 Die Umarbeitung zum eigentlichen Kartenbild hat A. Peter mann versorgt. Vgl. P. M.,
Ergh. 54, 1878, T. 1 u. 2.