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Die organische Welt im Kartenbild.
auf der Karte der Deutschen und Dänen in Nord-Schleswig kennzeichnet er die
Kirchorte des gemischten Sprachgebietes, zunächst die, wo weniger und sodann die,
wo mehr als zwölfmal jährlich deutscher Gottesdienst abgehalten wird, ferner die
Orte, wo sich Ortsabteilungen des Deutschen Vereins für das nördliche Schleswig vor
finden. 1 Das beste in dieser Richtung hat Langhans geleistet mit seiner Karte:
Sprachen und Religion in Europa und die Grenzen zwischen west- und osteuropäischer
Kultur. 1 2 Durch Flächenkolorit werden zunächst die verschiedenen Völker und
Sprachen dargestellt. Eine feine Schraffur, über das Flächenkolorit gelegt, unter
richtet über die Verbreitung der einzelnen Religionsbekenntnisse. Interessant sind
die weitern Angaben, die zeigen, wie das Deutschtum weiter nach 0, als allgemein
angenommen wird, hinüberreicht. Zunächst sehen wir die Ostgrenze des geschlossenen
Gebietes deutscher Schriftart (Fraktur), sodann die Ostgrenze der Verkehrssprache
im Handel, die noch östlich von Petersburg liegt und sich von da aus ziemlich direkt
nördlich nach Cherson wendet. Die Orte, wo deutsche Zeitungen erscheinen (vor dem
Kriege), sind rot unterstrichen. Schließlich bemerken wir noch die Ostgrenze fränkischer
Hausformen, die von Libau über Wilna durch Wolhynien bis zur Donau, im 0 von
Belgrad, zieht.
Das Unzulängliche der üblichen Sprachkarten wurde offenbar, als man sie
skrupellos vonseiten der Entente dazu benutzte, Deutschland in seinen Grenz
gebieten zu zerstückeln und zu verkleinern. Sie wurde in Unrechten, unwissenschaft
lichen Händen ein Mittel zur Propaganda und schließlich zu einer Weltlüge. 3 Die
Macher dieser Propaganda haben die wahren Abstimmungsverhältnisse, wie es sich
besonders in Oberschlesien kundtat, kaltlächelnd zur Seite geschoben, ganz nach
dem Grundsatz: Macht geht vor Recht. Selbst deutsche Sprachkarten, die ganz
andern Zwecken als der Veranschaulichung der Volks Verteilung dienen, sind von den
Franzosen umgefälscht worden. Dies unsaubere Verfahren der Franzosen und Polen
gründlich aufgedeckt und gegeißelt zu haben, ist insbesondere das Verdienst von
Walter Stahlberg. 4 Leider hat man hierbei der deutschen Kartographie von
deutscher Seite einen Vorwurf gemacht. Mit Unrecht! Bei Stahlberg lesen wir: ,,Die
deutsche Kartographie war leider den Herolden ihres Tuns (Umfälschens) dabei von
Nutzen.“ Dieser Satz konnte bedauerlicherweise nur geschrieben werden, weil die
Entwicklung und Bedeutung der Sprachkarten bis dahin nirgends richtig erfaßt und
dargestellt worden waren. Damit will ich nicht sagen, daß die deutschen Sprachkarten
nicht hie und da verbesserungsfähig wären. Die Fehler liegen im Wesen der Methoden
begründet. Es erübrigt sich für mich, darauf näher einzugehen; wer die vorher
gehenden Abschnitte aufmerksam studiert hat, wird sich die Antwort selbst geben.
Eine Sprachkarte ist keine Abstimmungskarte, obwohl beide äußerlich
viel ähnliches haben. Die Abstimmungskarte bringt ein Kulturelement zum Ausdruck,
das nicht, oder nur teilweise im Wesen jener liegt. Wie mit der Sprache weder das
Ethnische eines Volkes voll und ganz begriffen wird, so auch nicht seine kulturelle
und politische Zugehörigkeit, welch letztere nicht selten die Folge der kulturellen
1 P. Langhans i. P. M. 1891). T. 4.
2 P. Langhans i. P. M. 1917, T. 1.
3 Man vgl. M. Eckert: Kartenwissenschaft II, S. 145. 146.
4 W. Stahlberg: Das Kartenspiel um Oberschlesien. Grenzboten, Z. f. Politik, Literatur
u. Kunst. Berlin 1921, Heft 17/18. (A. Penck hat es auch zitiert, a. a. O., S. 175, Anm. 6, aber
auch wieder falsch, es muß Heft 17/18 heißen und nicht 27/28.)