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Die organische Welt im Kartenbild.
gebunden sind, und der untere die rasch über die Erde hin beweglichen Krankheiten
mit ihren Ausgangspunkten, die freilich oft nur mutmaßlich sind, wie Gerland selbst
eingesteht.
Seit den dreißig Jahren, da Gerland seine Karten zeichnete, ist die medizinische
Wissenschaft rasch fortgeschritten, besonders auf dem Gebiete der Infektionskrank
heiten. Man erkannte, daß die Krankheiten nicht in dem Maße an geographische
Orte und klimatische Erscheinungen gebunden sind wie man ehedem glaubte. „Die
geographischen Gegebenheiten haben aus sich heraus, von wenigen Ausnahmen ab
gesehen, nicht den geringsten ätiologischen Einfluß“, heißt es in der Untersuchung
über medizinische Karten von J. Wütschke 1 . Deshalb engt man neuerdings den
Begriff „Klimakrankheit“ bedeutend ein. Ebenso spricht man mehr allgemein von
„Krankheiten der warmen Länder“, wie es Scheube getan hat. 1 2 Eine gewisse Häufung
der Krankheiten in den Tropen und Subtropen läßt sich nicht abstreiten. Nirgends
gibt es eine volle Immunität gegen Krankheiten. Wenn der Europäer mehr als andere
gegen Krankheit gefeit ist, ist das bloß eine Folge der sozialen und hygienischen Ein
richtungen, deren er sich erfreut. Den Unterschied zwischen endemischen und
epidemischen Krankheiten mußte man für neuere Karten gleichfalls fallen lassen.
Das Auftreten der Epidemien ist zeitlich und örtlich sprunghaft. All diesen modernen
Gedanken und neuen Ergebnissen hat Wütschke mit seinen Übersichtskarten über
die geographische Verbreitung der Krankheiten Rechnung getragen. 3 Vergleicht
man sie mit denen von Gerland, kommt der große Unterschied zwischen heutiger
und damaliger wissenschaftlicher Forschung und Anschauung zum Ausdruck; sie
zeigen auch, daß die stärkste treibende Kraft der geographischen Krankheitsver
breitung der Verkehr ist. Die vier Karten veranschaulichen die Verbreitung der Cholera
und Pest, der Protozoen- und Spirochäten-Krankheiten (Malaria, Beulenkrankheit,
Dysentrie, Schlafkrankheit und Framboesia), der Krankheiten noch nicht genügend
bekannter oder noch unbekannter Ätiologie und der Stoffwechselkrankheiten (Gelb
fieber, Beriberi) und zuletzt der Bakterien-, Pilz- und Wurmkrankheiten (Lepra,
Maltafieber, Elefantiasis, Medinawurmkrankheit). Besonders anerkennenswert ist,
daß sich Wütschke auch mit der Methode der Krankheitskarten und den Schwierig
keiten der kartographischen Darstellung befaßt. Ein guter Gedanke war es, für die
Karten Mollweides flächentreue Projektion zu verwenden und nicht Mercators Pro
jektion, in denen die Erdkarten erscheinen, mit denen Frank G. Clemow seine
Geographie der Krankheiten ausgerüstet hat. 4 Diese gehen mehr den Einzelkrank
heiten in besonderer Wiedergabe nach, weshalb auch vielfach nur Erdteilkarten er
scheinen, die sämtlich kartographisch-methodisch weiter nichts bieten.
Den Stoff zu den Übersichtskarten von Wütschke gaben vor allem die Werke
und Einzelkarten von K. Mense 5 , B. Scheube und R. Pöch. 6 Der letztere hat zwei
1 J. Wütschke: Die geogr. Verbreitung der Krankheiten. P. M. 1921. S. 53. — Vgl. auch
L. R. Grote: Üb. die geogr. Verbreitung der Krankheiten. G. Z. 1919, S. 185ff.
2 B. Scheube: Die Krankheiten der warmen Länder. 4. Aufl. Jena 1910. Mit 5 K.
3 J. Wütschke, a. a. O., T. 4, 5, 6 u. 7.
4 Franc G. Clemow: The geography of disease. Cambridge 1903. Mit 12 K.
5 K. Mense: Handbuch der Tropenkrankheiten. 5 Bde. 2. Aufl. Leipzig 1913ff. Mit 4 K.
u. Sonderk. zur Schlafkrankheit.
6 H. Pöch: Hygiene im Weltverkehr. Andrees Geogr. des Welthandels. I. Frankfurt a. M.