Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

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Die organische Welt im Kartenbild. 
183. Staatswesen und Menseh. Innerhalb des durch die politischen Grenzen 
gesteckten Raumes vollzieht sich in der Hauptsache Leben und Wirken des Staats 
bürgers. Wieweit reicht der staatsbürgerliche Raum? Offenbar nicht soweit wie 
unsere Kenntnis der Erde reicht, höchstens soweit, als wir sie durch genaue instru 
mentale und durch Routen-Aufnahmen erschlossen 1 und unter eine Obrigkeit gestellt 
haben. Die Grenzen der unbekannten Polargebiete sind zwar durch neuere Ent 
deckungsreisen gegenüber den Grenzen auf der Karte von A. Supan 1 2 polwärts ver 
schoben worden, aber für den Menschen als Staatsbürger wurde dadurch nichts 
gewonnen. Nur Gebiete, die der Kultur zugänglich sind, haben als Grundlagen für 
Staatswesen Bedeutung. In ihnen erwachsen Pflichten und Rechte des Staatsbürgers. 
Wollen wir uns ein Bild von den Ländern mit geordnetem Staatswesen machen, be 
sitzen wir ein gutes Leitseil in den Karten, die Volkszählungen darstellen. H. Wagners 
Karte 3 , die eine Übersicht der Länder gibt, in denen bisher wirkliche Volkszählungen 
stattgefunden haben, wird zu einem wertvollen Kulturmesser, ja zu einem Kriterium 
des Staatsgebildes, das wir nach dem heutigen üblichen Begriff mit ,,Staat“ bezeichnen, 
der von den Erscheinungen des menschlichen Zusammenlebens eine der wichtigsten 
ist. 4 Wir fassen in unserer Erörterung den Staat wesentlich von der kulturellen 
Seite auf, weniger von der der allgemeinen Staatslehre. Darum haben wir ihn in 
Beziehung mit dem Siedlungsbild gesetzt; denn dieses ist schließlich ein Spiegelbild 
von der Tüchtigkeit der Staatsbürger. In den Völkerbewegungen, die innerhalb eines 
Staates Vorgehen, haben wir Anzeichen, wie der Mensch allmählich in den Staat 
hineinwächst. Am auffälligsten für neuere Zeit zeigte sich dies in den Vereinigten 
Staaten, wo durch Karten die Bevölkerungsbewegung von Westen nach Osten in 
Dekaden festgehalten wird. 5 Auch über das Anwachsen der deutschen Bevölkerung 
von 1816 bis 1900 (Groß-, Mittel-, Kleinstadt usw.) gibt es bemerkenswerte Dar 
stellungen. 6 
Über die Bewegungen eines Volkes innerhalb der Staatsgrenze muß sich ein 
Staat Rechenschaft geben, nicht bloß in rein motorischem Sinne wie bei dem Beispiel 
der Vereinigten Staaten. Darum sind die Karten entstanden, die sich mit den Ge 
burten, dem Geburtenüberschuß und -rückgang, den Eheschließungen, der Sterb 
lichkeit in den verschiedenen Altern, den Krankheiten, 7 den Todesursachen, der poli 
tischen Verwaltung, insbesondere mit den Reichstagwahlkreisen 8 , den Partei-Karten 9 , 
der Justiz-Verwaltung 10 , der Verwaltung der Invaliditäts- und Altersversicherung, 
1 Vgl. L. Carrière: Unsere Kenntnis der Erde. P. M. 1911, II, S. 347—351; dazu Karte T. 46. 
2 A. Supan: Die Grenzen der unbekannten Polargebiete. P. M. 1897, T. 3. 
3 H. Wagner i. P. M., Ergh. 62, 1880. 
4 P. Herre: Politisches Handwörterbuch. II. Leipzig 1923, S. 695. 
5 Statistical Atlas of the United States, s. a. Die Karte zeigt das Wachstum der Bevölkerung 
von 1790, 1800, 1810. 1820, 1830, 1840, 1850, 1860, 1870. [Bi. der Ges. f. Erdk. Berlin.] 
6 Herausgegeben vom Kaiserl. Gesundheitsamt im April 1904. 
7 Die K. der Krankheiten haben wir in § 182 erörtert. Hier sei noch besonders hingewiesen 
auf : Darstellung der wicht igsten bei der Beurteilung des Gesundheitszustandes in Betracht kommenden 
Verhältnisse. Vom Kaiserl. Gesundheitsamt in Berlin im April 1904 herausgegeben. 
8 Vgl. Die Wahlen f. d. Norddeutschen Reichstag am 12. Febr. 1867. Legislaturperiode 
1867/70. Kartograph, dargest. von F. v. Rappard. Berlin [K. Bi. Berlin.] — Die Wahlen f. den 
Deutschen Reichstag, zusammengestellt von Th. Mettke. Berlin, Ausg. vom Aug. 1878. — Th. Ho- 
hoff: Deutsches Reich, Ergebnis der Reichstagswahlen vom 30. Juli 1878. — Usw. usw. 
9 E. Hasse: Die Verbreitung der Sozialdemokratie in Deutschi. i. J. 1878. Leipzig. 
10 H. Knoblauch: K. der Gerichts-Organisation im Deutsch. Reiche. Berlin 1879.
	        
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