Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

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Die organische Welt im Kartenbild. 
der Staat lösen, der die meisten kulturellen Werte besitzt und schafft. Die Grenz- 
ansprüche, die lediglich auf ethnographischer Grundlage beruhen, wie sie hinsichtlich 
Italiens von P.Langhans kartiert worden sind 1 , werden zuletzt durch den kulturellen 
und wirtschaftlichen Machtfaktor entschieden. Wie die Westgrenze des Deutschen 
Reichs zwischen Ardennen und Schweizerjura von 1800 ab bis heute sich geändert 
hat, hat Langhans ebenfalls zur Zeichnung einer instruktiven Karte veranlaßt. 2 
Die mit dem Lineal gezogenen Grenzen, wie wir sie bei amerikanischen Staaten 
und Kolonialländern sehen, sind als vorübergehende Erscheinungen aufzufassen. 
Im Laufe der Zeiten werden sie diesen korrekten Liniengang verlieren und mehr in 
den Staatskörper der betreffenden Reiche aufgehen, d. h. die Form einer Zickzack 
linie annehmen, die durch orographische, ethnographische, kulturelle und wirtschaft 
liche Verhältnisse bedingt ist. 3 Wie z. B. die Siedlungsverhältnisse auf die Grenz- 
und Staatenbildung einwirken, hat 0. Maull in den nördlichen Kalkalpen zwischen 
Rhein und Salzach nachgewiesen. 4 
Was die politische Grenze im großen ist die administrative Grenze im 
kleinen, nur daß ihr Verlauf manchmal noch verwickelter als der jener ist. Sie hat 
sich trotz Gebietsveränderungen vielfach erhalten und gehört im allgemeinen zu 
den ältesten Grenzen politischer Räume (s. weiter unten). 5 Die Gemeinde- bzw. Ge 
markungsgrenze teilt dasselbe Schicksal mit der Gerichtsbezirks- und der Diözesan- 
grenze. Über die administrativen Grenzen sollten uns schon genügend die großmaß- 
stabigen topographischen Kartenwerke unterrichten. Bei uns in Deutschland kommt 
bisher lediglich das Meßtischblatt in Frage; dagegen versagt die Karte des Deutschen 
Reichs in 1 : 100000 vollständig. Ein dringendes Desiderat ist es geworden, daß bei 
einer Neubearbeitung endlich dem Mangel abgeholfen wird, zumal in keiner Weise 
zu befürchten steht, daß das Kartenbild überlastet werde. ,,Ihre Eintragung könnte“, 
wie H. Fischer sagt, ,,das Populärwerden dieser sonst so ausgezeichneten Karte nur 
befördern.“ 6 Im Schweizer Dufour-Atlas 1 : 100000 und auf der französischen General 
stabskarte 1 : 80000 sind die Gemeindegrenzen vorhanden. 
Ist es schon für die Gegenwart schwierig, Karten herzustellen, die admini 
strative und verwandte Grenzen zeigen, werden die Hindernisse schier unüberwindlich, 
wenn es gilt, historische Grenzen dieser Art festzustellen, wie es z. B. von G. L. Ber- 
tolini und U. Rinaldi für Friaul versucht worden ist 7 , da gerade diese Grenzen 
häufiger als geahnt verworren und verzwickt durcheinander laufen. Auf Grund 
4 P. Langhans i. P. M. 1915, T. 32. — Vgl. auch R. v. Pfaundler: Österreichisch-italienische 
Grenzfragen. P. M. 1915, S. 217 — 223. 
2 P. Langhans i. P. M. 1915, T. 49. 
3 Auf das Gefährliche des Lineals bei der Bestimmung des Grenzverlaufs in Kolonialländern 
habe ich seinerzeit aufmerksam gemacht, als sich die Gemüter wegen des Marokkoabkommens und 
der Kongokompensationen aufregten. .Deutsche Kolonialzeitung 1911, Nr. 48. Ebenso Deutsche 
Marokko-Zeitung, Dez. 1911, S. 424 und 426. Auf das Naturwidrige kolonialer Grenzen haben außer 
M. Fleischer und mir auch M. Groll u. a. hingewiesen. Deutsche Kol.-Z. 1907, Nr. 26. 
4 O. Maull: Der Grenzgürtel der nördl. Kalkalpen. P. M. 1910, II, S. 294. — Die bayrische 
Alpengrenze. Diss. Marburg 1910. 
5 H. Wagner: Lehrbuch der Geographie. 10. Aufl. Hannover 1923, S. 813. 
6 H. Fischer: Die Anforderung der Vollständigkeit an die Karte. Ratzel-Gedenkschrift. 
Leipzig 1904, S. 67. 
7 G. L. Bertolini und U. Rinaldi: Carta político-administrativa della Patria del Fròlli al 
cadere della República Veneta, con una premessa di P. S. Leicht. Società Storica Friulana. Udine 1913.
	        
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