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Wirtschafts- und Verkehrsfearte.
aber gebraucht wird sie nicht, weil man sich auf ihr so ungemein schwer zurecht
findet. Man legt sie zur Seite und überantwortet sie dem Nirwana. Das ist eine
häufige und um so bedauerlichere Erscheinung. Die Wurzel des Übels liegt im
Verkennen der Gesetze unsers physischen und psychischen Mechanismus. Schon
einmal, im Eingang meiner kartenwissenschaftlichen Forschungen, bin ich auf die
psychischen Hemmnisse zu sprechen gekommen 1 , ohne jedoch an die Wirtschafts
karten besonders erinnert zu haben.
Schon bei dem Betrachten der physikalischen Karte eines Landes bedarf es
einer mehrjährigen Schulung, damit man mit einem Male, zum mindesten in sehr
kurzer Zeit neben den Hauptzügen die feinen, oft nicht minder charakteristischen
Züge des Antlitzes der Mutter Erde erkenne. Bei Wirtschaftskarten, wie den Schul
wandkarten von Op.pel, Bamberg u. a., wird das betrachtende Auge verwirrt. Mit
einem Coup d’oeil wird nichts erreicht. Man gewinnt trotz aller gegenteiliger Ver
sicherung der Verfasser keinen Überblick. Mühsam, sehr mühsam ist das Hinein
arbeiten in die Zeichen- und Farbengebung und mithin in den Inhalt der Karte.
„Dieses Anschauen mit dem leiblichen Auge ermöglicht allein und für sich noch
nicht das erkennende Durchdringen mit dem geistigen Auge, mit dem Verstand.“ 1 2
Schülern derartige Karten vorzusetzen, heißt den psychologischen Gesetzen der
Kinderseele Gewalt antun 3 , w r as sich in dem Erfolg bitter rächt. Von den üblichen
wirtschaftsgeographischen Karten sagt H. Haack sehr richtig: „Ein Gewimmel von
unzähligen Kartenzeichen, ein Gewirr von Linien, ein Geflimmer von Farben, ein
Durcheinander von Namen, dem allen der Beschauer auf den ersten Blick hilflos
gegenübersteht. Verzweifelt w r andert das Auge über eine solche Karte, vergeblich
bemüht, Sinn und Ordnung in dieses Tohuwabohu zu bringen.“ 4 Daß auch der wissen
schaftliche Gewinn ein minimaler ist, bedarf weiter keiner Auseinandersetzung.
Es geht eben in die Psyche nur Wahrnehmung für Wahrnehmung hinein. Besser
wie Oppel, Bamberg u. a. hat Paul Langhaus auf seiner Wandkarte der Koh-
erzeugung der Erde das Psychologische des Problems erfaßt, wenn auch hier dessen
Lösung nicht völlig geglückt ist. Ein erfreulicher Fortschritt in dieser Bichtung
ist die jüngst erschienene (1923) Karte der Bodenschätze „Mitteleuropas“ in
1 : 750000 von K. Bein, die der zweiten Abteilung „Grund und Boden“ des Sammel
werkes „Großer Physikalischer Wandatlas“ angehört, das H. Haack herausgibt.
Die Kohlen-, Eisen- und Salzgebiete sind als die Hauptträger der Wirtschaft be
sonders kräftig herausgearbeitet. Die andern Bodenschätze treten entsprechend
ihrer Bedeutung im Kartenbilde zurück. Der Farbenvollton bezeichnet das eigent
liche Vorkommen, während der lichte Ton die Einzelvorkommen zu Bezirken und
Gebieten zusammenfaßt. Die Karte verfolgt didaktische Zwecke. Ein beschränktes
Gebiet ist da immer noch besser als das ganze Erdbild zu behandeln.
Die kartographischen Bilder der wirtschaftlichen Gesamtübersichten über die
Erde oder einzelner Länder erweisen nur zu sehr, daß sich in den Köpfen der Karten
1 M. Eckert: Kartenwissenschaft, I, S. 13, 14.
2 H. Losch: Einige Bemerkungen üb. Wirtschaftsstatistik, Wirtschaftsgeographie u. karto-
graph. Darstellung. G. Z. 1901, S. 426.
3 Daß auch auf dem Gebiete der Schulkartographie (Schulatlanten) ganz hübsche Erfolge
erzielt worden sind, beweist der für höhere Unterrichtsstufen hergestellte Atlas von J. G. Bartho-
lomew: The advanced atlas for South African Schools. Kapstadt u. London s. a. (1904). — In seinem
handelspolitischen Inhalt kann er noch heute deutschen Herausgebern als Vorbild empfohlen werden.
4 H. Haack: Eine neue Wandkarte der Bodenschätze Mitteleuropas. Geogr. Anz. 1923, S. 254.