Die geschichtliche Entwicklung der Verkehrskarte.
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Gelegentlich einer Abhandlung über die römischen Meilensteine sagt Otto Hirsch
feld: „Bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnis des Orbis Romanus und nach fast
erfolgtem Abschluß der lateinischen Inschriftensammlung wäre eine zusammenfassende
Untersuchung und kartographische Darstellung der Wege des Römerreiches eine
dringende und ohne große Schwierigkeit zu erfüllende Forderung der Wissenschaft.
Erst dann wird man ganz ermessen können, eine wie großartige Kulturarbeit das
Kaiserreich noch in den wirren und verzweifelten Zeiten des Niedergangs und der
Auflösung der alten Welt für den Orient und den Okzident durch Schaffung der Reichs
straßen geleistet hat, die im ganzen Mittelalter und vielfach noch heute die großen
Adern des Verkehrs geblieben sind.“ 1 Dieses Postulat der Wissenschaft hat in glän
zender Weise Konrad Miller erfüllt, und zwar durch seine Itineraria Romana,
römische Reisewege an der Hand der Tabula Peutingeriania dargestellt. 1 2
Was wir heute als Peutingersche Tafel bezeichnen, ist eine mittelalterliche
Abschrift eines aus der römischen Kaiserzeit stammenden Originals. Wir erkennen
dies Original als das Werk eines der letzten römischen Privatschriftsteller, als die Welt
karte des Castorius aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts. Diese Ansicht 3
Millers wurde (von 1888 an) von einer Reihe namhafter Gelehrter, wie Tomaschek,
J. Partsch, S. Rüge, G. Hirschfeld, stark bezweifelt. Mit der neuen Publikation über
diesen Gegenstand ist es meiner Meinung nach Miller gelungen, die frühem Einwände
wegzuräumen, vorausgesetzt, daß es an der nötigen Einsicht auf gegnerischer Seite
nicht fehlt. Auch von kartenwissenschaftlichem Standpunkt aus muß man sich,
wenn man nicht in philologische Haarspalterei verfallen will, den Darlegungen Millers
anschließen. Es erübrigt sich sodann, beispielsweise auf A. Elters Hypothese einzugehen,
der in der uns überlieferten Form der Peutingerschen Tafel eine der ältesten christlichen
Pilgerkarten erkennen will. 4 Ferner kann ich mich nicht der Auffassung Scliweders 5
anbequemen, der in den roten Wegelinien der Karte nichts anderes als ein anschauliches
Hilfsmittel für die Entfernungsangaben sieht, bestärkt durch die Wahrnehmung, daß
man nichts über die Qualität der Straßen herauszulesen vermag. Bei einer derartigen
römischen Welt Verkehrs wegekarte erscheint mir die Qualitätsbestimmung der Straßen
ausgeschlossen; man muß bei der Beurteilung doch nicht von unsern modernen Begriffen
ausgehen sondern sich tunlichst in jene Zeiten mit ihrem Kulturzustand zurückzu
versetzen suchen.
Wie wir die alte römische Wegekarte heute kennen, ist sie eine Abschrift aus
dem 12. Jahrhundert. Sie wurde von dem Wiener Humanisten und Bibliothekar
Maximilians I., Konrad Geltes, 1507 in Augsburg dem Ratsschreiber Konrad Peu-
1 O. Hirschfeld: Die röm. Meilensteine. Berliner Sitzungsberichte 1907.
2 K. Miller: Itineraria Romana. Römische Reisewege an d. Hand der Tabula Peutingeriana
dargestellt. Mit 317 Kartenskizzen u. Textbildern. Stuttgart 1916. — Dies umfangreiche und gründ
liche Werk behandelt 1. die einzige erhaltene Kopie in Wien nach Geschichte, Erhaltungszustand,
Alter und Treue der Schrift und den verschiedenen Ausgaben; 2. das Original, das nach Verfasser,
Abfassungszeit, Quellen und Zweck als ein Werk des Castorius erkannt wird; und 3. den Inhalt,
wobei das Schwergewicht auf die Erklärung der Zeichen und Eigentümlichkeiten gelegt wird.
3 Diese Ansicht vertrat Miller bereits 1887, als er die erste Ausgabe der Tabula Peutingeriana
mit den Begleitworten unter dem Titel „Die Weltkarte des Castorius“ veranlaßt hatte. Die Karte
ist in Farben und auf 2 / 3 Größe des Originals wiedergegeben.
4 A. Elter: Itinerarstudien I, II; Programm der Universität Bonn 1908.
5 Sch weder: Üb. d. Ursprung u. d. ursprüngl. Bedeutg. des sog. Straßennetzes der Peutingersch.
Tafel. Philologus. Leipzig 1903. S. 357ff.
Eckert, Kartenwissenscliaft. II.
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