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Wirtschafts- und Verkehrskarte.
und schwierigem Probleme, und dabei ist sie eine wesentlich jüngere Schöpfung als
die Verkehrskarte. Diese ist ja, wie wir gesehen haben, so alt wie die Kartographie
selber. Sie hat auch am meisten dazu beigetragen, der Verkehrsgeographie ein eigenes
Heim zu bauen und sie in kultur-, anthropo- und politisch-geographischen Betrach
tungen mit an erste Stelle zu rücken. Die Verkehrswege verfolgen bekanntlich eine
bestimmte Richtung, selbst wenn wir an den Luftverkehr denken. Es ist, als ob das
strenge Befolgen einer Richtung im Verkehr auch der verkehrsgeographischen Be
trachtung einen bestimmten Weg vorgezeichnet habe, ohne viel nach rechts und nach
links zu schauen, als ob ihr eine gewisse Enge eigen sei. Dagegen kann die wirtschafts
geographische Erörterung bequem in die Breite schweifen. Der Verkehr ist ganz und
gar vom Willen des Menschen abhängig, die Wirtschaft schließlich auch; indessen wird
sie von einer viel reichern Anzahl physischer Erscheinungen als jener in Mitleidenschaft
gezogen, denen der Mensch machtlos gegenübersteht. Ich erinnere bloß an die klima
tischen Einflüsse bei der Ernte.
Wie unsere Erörterungen schon hier und da durchblicken ließen, verbleibt die
neuere Verkehrskarte nicht allein bei dem Weg. Teils spekulative teils praktische
Erwägungen haben ihren Inhalt erweitert und ihr eine Bedeutung gegeben, die weit
über die einer bloßen Wegekarte hinausgeht. In der Isöclironenkarte sucht sie die
Zeit zu veranschaulichen, die der Verkehr gebraucht, um mit bestimmten Verkehrs
mitteln bestimmte Wege zu überwinden. In der quantitativen Verkehrskarte wird
die Menge der beförderten Güter veranschaulicht, sei es auf dem Eisenbahn- oder
Elußschiffahrt- oder Seeschiffahrtweg. Neben der Menge ist es ferner die Qualität,
die sichtbar gestaltet wird. Entweder können die Verkehrsstränge oder die trans
portierten Gütermengen nach Nationalität oder Gesellschaften unterschieden werden
oder nach der Art der Güter. Je mehr man den Verkehr überdenkt, um so mehr werden
sich Probleme gegenwärtig und künftig herausschälen, die zu einem kartographischen
Niederschlag drängen. Diese kurzen Andeutungen mögen genügen, der Verkehrskarte
neue Perspektiven zu eröffnen. Ihnen nachzugehen, werden die folgenden Unter
suchungen Gelegenheit geben.
230. Das Gelände in der Verkehrskarte. Gelände und Verkehrsweg miteinander
zu verbinden ist im Grunde genommen eine so selbständige Sache, deren Erörterung
zunächst überflüssig zu sein scheint. Und dennoch sind die hierhergehörigen Anforde
rungen an die heutige Verkehrskarte — wir denken bloß an die Wegekarte — scheinbar
rechtlos geworden. Das Gelände fehlt, wo es sehr wohl am Platze wäre. Was bezüglich
dieser Unterlassungssünde E. v. Sydow vor länger als einem halben Jahrhundert in
der Besprechung einer Orts- und Straßenkarte A. Steinhausers 1 zum Ausdruck brachte,
bleibt heute noch zu vollem Rechte bestehen und könnte nicht besser gesagt werden:
„Wir benutzen diese Gelegenheit zu der allgemeinen Bemerkung, daß unsere so
genannten Straßenkarten vorherrschend noch auf einem falschen Standpunkt stehen,
w r enn sie die orographische Bezeichnung entbehren zu müssen glauben. Für die Be
nutzung der Straße ist es höchst wichtig zu wissen, was sie für ein Terrain durchzieht,
denn selbst die Angabe der Stationen und Etappen wird dadurch näher bestimmt, und
ist nun gar die Karte eine strategische, der militärischen Benutzung gewidmete, wo
1 A. Steinhäuser: Orts- u. Straßenk. der Königreiche Ungarn, Kroatien u. Slavonien, des
Großfürstentums Siebenbürgen u. d. k. k. Militär-Grenze. 1: 1296000. Wien 1865.