Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

Wesen uud Aufgabun der Verkehrskarte. Allgemein Methodisches. 635 
Luftverkehrs- und Ortungskarten. Die Weltverkehrskarten und Verkehrsmittelkarten 
der Erde bilden den Abschluß dieser Reihe. Bevor ich auf die einzelnen dieser Ver 
kehrskartenarten eingehe, ist es notwendig, noch eines generellen Verfahrens zu 
gedenken, nämlich des Generalisierens der Verkehrslinien. 
Das Generalisieren geht in zwei Richtungen vor sich; einmal werden die Linien, 
die von Natur aus in allerhand Bögen das Land durchziehen, vereinfacht, sodann 
wählt man unter den Linien bestimmte als darstellenswert aus. Das Vereinfachen 
wie das Auswahlen setzt nicht bloß kartographisches Taktgefühl, sondern vorzugs 
weise gute Sach- und Fachkenntnis voraus. Schwieriger erscheint das erste Ver 
fahren als das andere, wenn wir davon absehen wollen, daß auf der modernsten 
Kartenschöpfung, der Karte des Luftverkehrs, die Verkehrslinien meist nur als gerade 
Linien, die gleichsam ausgereckte Abschnitte von Großkreisen der Erde sind, ge 
zogen werden. 
Die großmaßstabigen Aufnahmeblätter bringen alle Beugungen und Knik- 
kungen der Wege. Aber schon die Karten in 1:200000 bis 1:500000 können nicht 
peinlich genug Vorgehen, wenn sie alle charakteristischen Abweichungen der Weg 
linien von der Geraden veranschaulichen wollen. Zugleich setzen diese Maßstäbe 
eine Auswahl der wichtigem Linien, bzw. das Weglassen untergeordneter Verkehrs 
wege voraus. Bei den Karten mit dem Maßstab 1:1 Million und denen, die in der 
Nähe dieses Maßstabes liegen, bereitet es allerhand Schwierigkeiten, sämtliche Eisen 
bahnen Westeuropas oder der östlichen Vereinigten Staaten aufzunehmen. Vor sechzig 
und mehr Jahren war die Einzeichnung sämtlicher Eisenbahnen neben andern wich 
tigen Verkehrsstraßen selbst für eine Übersichtskarte keine ungeheuerliche Aufgabe. 
Jedoch der rapiden Entwicklung der Eisenbahnen, die in Deutschland im Jahre 1866 
einsetzte, konnte die frühere Karte nicht mehr folgen. Weil die Eisenbahn offen 
bar das wichtigere Verkehrsmittel gegenüber den ältern Straßen war, schloß man 
letztere, worauf bereits aufmerksam gemacht wurde, bald ganz von dem Karten 
bild aus, und es entstand die reine Eisenbahnkarte, wie sie 1867 von C. Vogel 
gezeichnet wurde 1 und sich seit älterer Zeit in den Eisenbahn-Kursbüchern ein 
gebürgert hat. 
Das rasche Wachstum der Eisenbahnen engte den Raum auf dem Kartenbild 
kleinern Maßstabes immer mehr ein, bis endlich zum Generalisieren die Zuflucht 
genommen wurde, d. h. zur Auslese der wichtigsten Bahnen. H. Wagner wird man 
heute noch gern beistimmen, als er 1873 bereits bei Gelegenheit der Betrachtung der 
Entwicklung des deutschen Eisenbahnnetzes sagte, daß der Kartographie durch 
dies neue Verkehrsmittel, deren Darstellung kein Käufer eines Kartenwerkes ver 
missen möchte, eine entsetzliche crux erwachsen ist. 1 2 
Selbst die Schulkarten mögen heute nicht mehr die Eisenbahnen missen. 
Obwohl Herrn. Berghaus schon vor einem Menschenalter sich mit der Schwierigkeit 
der Darstellung der Eisenbahnen auf Unterrichtskarten beschäftigte und auf sie bei 
der Neubearbeitung von Stielers Schulatlas (1820 zum erstenmal erschienen) hinwies 3 , 
hat es noch lange gedauert, bevor die Wiedergabe der wichtigsten Eisenbahnstränge 
1 Vgl. ferner C. Vogel: Deutschland u. benachbarte Länder. Zur Übersicht der Eisenbahnen 
u. Dampfschiffahrten. 1:5700000. Stielers Handatlas Nr. 20. Gotha 1871. 
2 H. Wagner i. P. M. 1873, S. 226. 
3 Herrn. Bergbaus i. P. M. 1882, S. 110.
	        
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