Grundlagen der Kartenästhetik.
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Generalkarte. Solange die in der Natur vermessenen Objekte noch in einem fast all
seitig gleich ausgiebigen Verjüngungsmaßstab auf das Papier gezeichnet werden
können, bedarf es nur der nötigen technischen Festigkeit. Das Künstlerische kommt
bei der topographischen Karte nur in zweiter Linie in Betracht; es spricht sich haupt
sächlich in einer harmonischen Farbengebung aus. Selbst die Abstimmung der Schrift
stärke, -grüße und -art, die harmonisch sein soll und dadurch ästhetisch wirkt,
wird technisch festgelegt; zuletzt auch die Anzahl und Stärke der Schraffen für die
verschiedenen Erhebungsintervalle.
Die Karten sprechen eine internationale Sprache. Ohne große Schwierig
keit lassen sich die Karten der verschiedensten Länder verstehen. Das ist wiederum
ein hohes Zeichen künstlerischen Charakters, wie es sich insonderheit in der Malerei
und Tonkunst kundgibt. Wie aber in diesen Künsten neben dem internationalen
Empfinden doch die spezifisch nationale Eigenart nicht verwischt werden darf, um
eben groß zu wirken, so finden wir auch bei den kartographischen Produkten trotz
allem internationalen Verständnis bestimmte nationale, ja stammliche Eigenheiten.
In der Art und Weise der Wiedergabe der kartographischen Zeichen haben sich bei
den einzelnen Ländern bestimmte Manieren ausgebildet, daß man bei den Karten,
besonders bei den topographischen Karten, ähnlich wie in der Kunst von verschiedenen
Stilen redet, so von einem deutschen, österreichischen, schweizerischen, französischen,
englischen Stil; selbst innerhalb des Deutschen Reiches kann man heute noch von
einem preußischen, württembergischen, sächsischen und bayrischen Stile reden. 1
Innerhalb Deutschlands kann man in Hinsicht auf die Privatkartographie den Gothaer
(J. Perthes), Leipziger (E. Debes) und Berliner Stil (D. Reimer) unterscheiden.
Von außerdeutschen Privatinstituten ist vor allem dem großen Hause John Bar
tholomew in Edinburgh ein eigner Stil nachzurühmen. Auch Hachette in Paris hat
seinen besondern Kartenstil. Bezüglich der topographischen Karte bleibt die
Peuckersche Begriffsbestimmung der Kartographie, daß sie eine mit wissenschaftlich
systemisierten Kunstmitteln schaffende Technik sei, vollwertig bestehen 1 2 , nicht aber
für die gesamte Kartographie, wie im ersten Band bereits nachgewiesen und be
gründet wurde.
249. Das Generalisieren ein künstlerisches Schaffen. Wo die Darstellungsmög
lichkeit der in der Natur vermessenen Gegenstände in einem der Natur entsprechenden
Verhältnis aufhört, da fängt die Kunst des Kartographen an. Also mit dem Gene
ralisieren beginnt die Kartographie als Kunst 3 ; sie streift ihr objektives Äußere
ab und kleidet sich in das verschieden charakteristisch gefärbte Gewand der Sub
jektivität. Wohl ist richtig, daß wissenschaftliche Bildung und wissenschaftliche
Reflexion, d. h. Zweck und Wert bestimmende Überlegung die Auswahl des Stoffes
leiten, aber die Art der bildlichen Wiedergabe des gewählten Stoffes folgt mehr minder
der warmen Empfindung individuell-subjektiver Intuition. Letztere darf
indessen nicht dominieren und die wissenschaftliche Richtschnur .beschneidet jeden
1 Früher waren die Stile graduell noch verschiedener als heutigestags. Vor einem halben Jahr
hundert weist A. Petermann auf das eigene Gepräge der preußischen, sächsischen, hessischen, olden-
burgischen, russischen, dänischen und französischen Karten hin. Vgl. G. J. I, 1866, S. 581.
2 K. Peucker: Schattenplastik u. Farbenplastik. Beiträge z. Geschichte u. Theorie der
Geländedarstellung (Kartograph. Studien I). Wien 1898, S. 126.
3 M. Eckert: Die Kartenwissenschaft, I, S. 328—339.