Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

Grundlagen der Kartenästlietik. 
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auch künstlerisch ist, die Welt vorwärts gebracht. Das zeigt sich in der Kunst so 
wohl wie in der Wissenschaft. Es wird Vorkommen, daß geniale Kartographen das 
Richtige treffen und zeichnen, ohne sich der wissenschaftlichen Gründe und der 
wissenschaftlichen Genauigkeit bewußt zu sein; gerade so wie ein Bildhauer ohne 
anatomische Studien wohlgestaltete menschliche Körper nachzubilden vermag. Das 
sind jedoch nur Ausnahmen, und gründliche Kenntnisse der Geographie sind dem 
einen ebenso nütze wie dem andern die Kenntnisse des Baues vom menschlichen 
Körper. 
250. Gemeinsames zwischen Wissenschaft, Kunst und Kartographie. Künst 
lerische Begabung. Wissenschaft und Kartographie einerseits und Kunst 
andererseits haben viele gemeinschaftliche Beziehungen. Gemeinsam ist der geistige 
und ideale Charakter und die Voraussetzung einer gewissen Begabung, Übung 
und Erziehung, wie unten noch ausführlicher nachgewiesen wird. Auch in der Er 
weckung eines Lustgefühls sowohl bei dem Erzeugenden wie bei dem Aufnehmenden 
sind sich Kartographie und Kunst bis zu einem gewissen Grade ähnlich; während aber 
bei der Kunst dieses Lustgefühl, der Genuß ein unmittelbarer, überhaupt der wesent 
lichste Zweck ist, sollen durch die Wissenschaft und Kartographie Wahrheiten er 
mittelt und übertragen werden. Wird die Landschaft durch das lebendige Wort des 
Geographen noch so greifbar geschildert, wird das Landschaftsbild durch sorgfältig 
erwogene Zeichen und Farben des Kartographen noch so plastisch dargestellt, eine 
derartig geweckte und gepflegte Anschaulichkeit ist nicht wie bei der Kunst Selbst 
zweck sondern nur Mittel zum Zweck. 
Aus handgreiflichen Gründen ist es klar, daß die Kartographie mehr Beziehung 
zur Kunst hat als die reine geographische Wissenschaft, obwohl auch heute die 
künstlerische Geographie mehr als ehedem auf den Plan rückt. In der praktisch 
sich betätigenden Kartographie begegnen wir einem der eigentümlichsten Misch- 
gebiete zwischen Kunst und Wissenschaft, einem Mischgebiet, das tatsächlich 
existiert, das trotz aller Einreckungsversuche in die reine Wissenschaft nicht hinweg 
geleugnet werden kann. Das alles schließt jedoch ein Zusammengehen vom Ge 
lehrten und Künstler auf theoretisch-, selbst auf praktisch-kartographischem Gebiet 
durchaus nicht aus, wie auch schon wiederholt betont worden ist. 1 Glänzende Ver 
treter dieser Edelmischung sind Delisle, d’Anville, Buache, H. Kiepert, Heinrich 
sowie Hermann Berghaus, E. Debes u. a. m. 1 2 
Wäre die Kartographie der Kunst bar, würde sie zum bloßen Handwerk herab 
sinken, was sich leider auch heute noch in vielen kartographischen Erzeugnissen 
nachweisen läßt. 3 * * * * * A. Breusing geißelt die „kartographischen Handwerker“. 
1 E. v. Sydow: Der kartogr. Standpunkt Europas i. d. Jahren 1860 und 1861. P. M. 1861, 
S. 467. 
2 Über Heinrich und Hermann Berghaus vgl. H. Wagner in seinem Nachwort zu Herrn. Berg 
haus. P. M. 1891, S. I. 
3 Etwas besser ist es in dem letzten Dezennium geworden. Aber immer noch bleiben die Worte 
E. v. Sydows zu beherzigen, die er gelegentlich einer Besprechung der L. v. Gutbierschen Karte 
über „Thüringen und Sachsen“ äußerte: „Die Kunst des Kartenstichs ist nicht in rohe Fabrikation 
ausarten zu lassen. Gerade die Kartographie verlangt ein inniges Verschmelzen des wissenschaftlich 
arbeitenden Geistes mit der ausübenden Kunst, und es wäre sehr zu wünschen, daß mindestens 9 / 10 
der vielen lithographischen Kartenproduzenten der Gegenwart durch scharfe Kritik des Publikums 
auf andere Gegenstände ihrer mechanischen Fertigkeit verwiesen würden.“ P. M. 1861, S. 467. 
Eckert, Kartenwissenschaft. II. 43
	        
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