Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

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Ästhetik und Logik der Karte. 
Zum Künstler muß man geboren sein. Wille und. Fleiß kann bei mangelnder 
Begabung wohl viel ersetzen, jedoch zünden Höhen künstlerischen Schaffens nicht 
emporklimmen. Es ist eben die Kunst eine Tätigkeit, zu der ein Können nötig ist, 
das teils auf angeborener Begabung teils auf Übung und Erziehung beruht. Einer 
ähnlichen Tätigkeit, einem ähnlichen Können begegnen wir in der Kartographie; 
nur ist bei dem Kartographen die künstlerische Intuition weniger die reine Intuition, 
d. h. die anschauende, ohne Yerstandesoperationen unmittelbar vorgestellte Erkenntnis, 
sondern mehr eine bewußte Anschauung, weil die wissenschaftliche Erkenntnis und 
zuletzt eine praktische Logik über der reinen Empfindung stehen. Die beiden Berg 
baus, C. Vogel, Br. Hassenstein 1 , E. Debes, H. Habenicht sind solche Künstler; sie 
können wohl kopiert werden, aber die Seele ihrer Werke bleibt ihnen eigentümlich. 
Im allgemeinen muß man aber daran festhalten, daß die Auswahl des Stoffes 
wie der gesamte Aufbau der Karte teils von der wissenschaftlichen Befähigung teils 
von dem künstlerischen Gefühl des Kartographen abhängt. Ein glücklicher Takt 
wird ihm die rechte Mitte zwischen dem „Zuviel und Zuwenig“ einhalten lassen. 
So wird sich jederzeit in dem Arrangement der ganzen Karte das dem Autor 
mehr oder minder eigentümliche Talent geschickter Raumbenutzung bekunden. 
Daß ungünstige Reproduktionsverfahren ein ursprünglich schon überladenes Bild 
im Werte noch herabsetzen,' und daß zuweilen zu kräftige, zu schwere Zeichnungen 
auf Kosten der Vervielfältigungstechnik zu setzen sind, braucht hier nicht weiter 
detailliert zu werden. Das Bild ist uns unmittelbar zugänglich, so wie es aus der 
Hand des Künstlers kommt, die Karte gelangt auf dem Umwege der Reproduktion 
in unsern Besitz. 
Außer dem Autor und dem Kartographen muß der Kartenstecher sehr ge 
schickt sein und den Intentionen der erstem folgen können, um das Kartenbild nicht 
zu verhunzen. „Der Geograph und Kartograph ist aber stets“, wie Aug. Petermann 
sagt, „von der individuellen Anschauung, Bildung und dem Geschmack des Stechers 
abhängig, und wenn jeder einzelne Stecher oder Lithograph bloß seinem eigenen 
Geschmack und nicht den Vorschriften und Direktionen des Zeichners und Autors 
folgt, so bekommt man im günstigsten Falle eine völlig regellose und gedankenlose 
Mosaik, in der keine zwei Teile miteinander passen oder harmonieren, und in der die 
Arbeit des Zeichners und Autors wesentlich beeinträchtigt und verdorben wird.“ 1 2 
Auch das „Heute“ schließt noch nicht aus, daß der innere Wert fleißiger Arbeiten 
durch ungeschickte Technik vollständig getötet wird. 
Wie sich einzelne Individuen schon durch ihre speziellen Begabungen auszeichnen, 
so auch die Völker untereinander. In kartographischer Beziehung haben die ger 
manischen und romanischen Völker einen großen Vorsprung gegenüber den Slawen, 
noch mehr gegenüber den Mohammedanern und Ostasiaten. Selbst unter den mit einer 
geringen Kultur ausgestatteten Völkern, den sog. Naturvölkern, finden wir viele mit 
hervorragendem kartographischen Sinn. 3 
1 Fr. Ratzels Biographie über Bruno Hassenstein. P. M. 1902, S. 5. — Kleine Schriften. 
Hg. v. H. Helmolt. I. München u. Berlin 1906, S. 500ff. 
2 Aug. Petermann: Vollendung der neuen Ausgabe von A. Stielers Hand-Atlas in 90 Blättern 
und 17 Ergänzungsblättern. P. M. 1876, S. 2. — Vgl. ebenfalls E. v. Sydows Beurteilungen des 
Historisch-geographischen Atlas von Sachsen und Thüringen von M. v. Süssmileh-Hörnig und 
der Karten Thüringens u. Sachsen (1: 600000) von L. v. Gutbier in P. M. 1861, S. 467. 
3 M. Eckert: Die Kartenwissenschaft, I, S. 85—90; II, S. 31—34.
	        
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