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Ästhetik und Logik der Karte.
Jetzt haben wir es lediglich mit der ästhetischen Wirkung der Plastik zu tun und
setzen uns über die mehr oder minder wissenschaftliche Grundlage — die als Grund
forderung jederzeit bestehen bleibt — hinweg. Da interessiert uns zunächst die
Frage: Inwieweit ist die schräg beleuchtete Karte imstande eine ästhetische Wirkung
hervorzurufen ?
Mehr wie eine andere Kartenart betritt die schräg beleuchtete Karte das
Gebiet der Kunst, mehr wie eine andere ist sie berufen, einen ästhetischen Eindruck
auf den Beschauer hervorzurufen. 1 Sie verfolgt das Ziel, einen optischen Eindruck
der Natur bzw. des Keliefs auf der Fläche zu erzeugen. Das geschieht nicht allein
durch eine gute Umrißzeichnung, sondern vor allem durch die Modellierung, d. h.
die Verteilung von Licht und Schatten zur Hervorbringung einer plastischen Wirkung.
Ein weiteres wirksames Moment gesellt sich vielfach hinzu, ein gutes Kolorit, d. h.
eine solche Färbung, die die dargestellten Gegenstände wirksam gegeneinander ab-
zuseteen und sie ihrer Natur nach zu charakterisieren vermag. Das alles aber sind
die Eigenschaften der künstlerischen Illusion. Die Illusion hat eine große Be
deutung und namhafte Dichter und Denker haben sich damit beschäftigt. 1 2 Doch
braucht diese Lehre durch Autoritäten gar nicht gestützt zu werden, sie läßt sich
(logisch wie) psychologisch beweisen.
Unser Baumgefühl der Natur gegenüber entsteht einmal durch die Zwei
äugigkeit unsers Sehens, sodann durch die Bewegung unserer Augen und drittens
durch die schon von Kindheit an in uns aufgespeicherten räumlichen Erinnerungs
vorstellungen, die sich durch die fortwährende Verbindung unserer sinnlichen Wahr
nehmungen mit unsrer Eigenbewegung im Baum gebildet haben. Die räumlichen
Erinnerungsvorstellungen sind es vornehmlich, die die Vorstellung einer wirklichen
Gebirgslandschaft in uns hervorrufen. Nicht ein- und zweimal sondern vielemal
haben wir auf einer Höhe gestanden und die Verteilung von Licht und Schatten im
Gelände wahrgenommen.
Das Kartenbild sucht nun außer mit Hilfe einiger charakteristischer Linien
die Verteilung von Licht und Schatten festzuhalten und so die Natur zu porträtieren.
Das bringt uns auf den von Kartographen und Kartenkritikern so beliebten Vergleich,
die Karte als das Porträt der Landschaft aufzufassen. Es liegt viel Wahres daiin.
Im Porträt sind nicht alle Einzelheiten der Natur gezeichnet. Das ist ganz richtig,
denn bei ihm haben wir es nie direkt mit dem Original zu tun sondern immer nur
mit einem Vorstellungsgebilde des Originals, das man sich im Geiste vorstellt. Für
einen Menschen ist es unmöglich, alle Details eines Gesichts, selbst wenn er es noch
so häufig gesehen hat, in der Erinnerung zu behalten; was er dagegen in der Er
innerung behält ist der allgemeine optische Eindruck und der geistige Gesichts
ausdruck der Person; diesen will er im Bilde überzeugend wiedergegeben sehen.
Dasselbe gilt von der Wirkung des schräg beleuchteten Geländebildes, aller
dings bei der Größe des umfassenden Baumes zumeist mit Verzicht auf den geistigen
Gesichtsausdruck der Landschaft, d. h. der feinem charakteristischen Linien, also
mit Weglassung sehr vieler Details. Hier liegt aber auch noch etwas andres vor, das
1 M. Eckert: Die wissenschaftliche Kartographie im Universitätsunterricht. Verhandlungen
des XVI. Deutschen Geographentages zu Nürnberg. Berlin 1907, S. 220.
2 Die Bedeutung der künstlerischen Illusion ist schon von Leonardo da Vinci und Dürer
ausgesprochen worden, ferner von Lessing, Moses Mendelssohn, Goethe, Kant, Schiller,
Hegel, Vischer, Fechner, Hartmann, Alt, Groos, K. Lange u. a. m.